Signum - Die verratenen Adler
der Germane fort, »dass in den nächsten Jahren bei euch in Rom auch unsere germanischen Götter in Mode kommen. Es wäre für meine Landsleute etwas gewöhnungsbedürftig, wenn sie eines Tages erführen, dass, sagen wir, auf dem Esquilin ein Tempel für Wodan gebaut wird. Wir ziehen es ja vor, mit unseren Göttern auf Waldlichtungen oder an Quellen in Verbindung zu treten. Aber man kann sich wohl an alles gewöhnen.«
»Davon konnten wir uns in dieser Stadt in den letzten Tagen überzeugen«, sagte Lucius, der seine Bemerkung im Nachhinein etwas vorwitzig fand und die Freundlichkeit seines Gegenübers nun zu erwidern bemüht war. »Und aus welchem Stamm bist du?«
»Ich bin Cherusker«, antwortete der Priester. »Allerdings mit römischem Bürgerrecht. Mein Name ist Segimundus.«
Auch Caius und Lucius stellten sich vor und berichteten kurz, was sie nach Germanien geführt hatte. Segimundus zog die Augenbrauen hoch. Caius hatte sich schon daran gewöhnt, dass ihre Anwesenheit zumeist Erstaunen hervorrief. In der Tat war es wohl ziemlich ungewöhnlich, dass zwei Jungen in ihrem Alter sich allein auf eine solche Reise machten.
»Haben die anderen Priester hier auch das Bürgerrecht?«, fragte Caius.
»Ja.« Segimundus beugte sich vor. »Allerdings sind nicht alle mit dem gleichen Eifer bei der Sache«, flüsterte er verschwörerisch.
»Was soll das heiÃen?«, fragte Caius.
»Das soll heiÃen, dass einige von meinen Kollegen den ganzen Götterkult für einen ziemlichen Mummenschanz halten.«
»Und trotzdem machen sie mit?«
»Natürlich machen sie mit. Das Amt verschafft einem höchstes Ansehen. Und wenn sich die Dinge so entwickeln, wie es den Anschein hat, dann wird es einem in Zukunft so manche Tür öffnen.«
»Aber wenn sie nur zum Schein bei etwas mitmachen, von dem sie nicht überzeugt sind â wie kannst du dann sagen, dass sie die neue Zeit verstanden haben?«
Segimundus legte den Kopf schief und lächelte hintergründig. »Aber das ist doch gerade die neue Zeit«, entgegnete er. Dann drehte er sich um und verschwand hinter einer Ecke.
»Komischer Vogel«, murmelte Lucius.
Der Betrieb in der Stadt schwoll in den Tagen vor der Abreise noch einmal deutlich an. Die Tavernen waren voll von Soldaten der zahlreichen Leibwachen und Fuhrleuten, die sich um den Abtransport des Gepäcks der Offiziere kümmerten. Auf den StraÃen in der Umgebung des Stabsgebäudes, wo auch Varus in einem der Seitenflügel seine Unterkunft genommen hatte, stauten sich die Transportwagen.
Irgendwo da drin, dachte Caius beim Anblick der von Legionären bewachten Kolonne, hat Varus sein Geheimnis verborgen. Und ich werde noch herausfinden, was es ist.
Am Abend vor dem geplanten Aufbruch machten Caius und Lucius sich zu einem letzten Rundgang durch die Stadt auf. Wieder kamen sie am Stabsgebäude vorbei. Vor dem Tor war eine Menschenmenge versammelt, die die Hälse reckte und gaffte. Im Peristyl schien etwas im Gange zu sein. Caius und Lucius drängelten sich durch die Leute und schafften es bis hinein. In dem Hof war ein gewaltiger Kran aufgebaut worden, an dessen Winden sich ein Dutzend Sklaven zu schaffen machte. Das Gestell ächzte unter seiner Last. Als die beiden Jungen sich bis in die erste Reihe der Zuschauer vorgearbeitet hatten, die von Soldaten mit wichtigtuerischen Gesichtern zurückgehalten wurden, sahen sie, was vor sich ging: Genau in der Mitte des Innenhofes erhob sich ein massiver Sockel aus Marmor, der gestern noch nicht da gewesen war. Daneben stand ein gedrungener Karren mit niedriger Ladefläche, vor den zwei Ochsen gespannt waren. Darauf lag auf einer Strohschicht eine übermannshohe Statue. Die Figur war mit Seilen umwickelt, die mit dicken Wolltüchern abgepolstert waren und am Haken des Krans in mehreren Schlingen zusammenliefen. Während die Sklaven sich an den Winden abmühten, richtete sich die Statue unter dem Murmeln der Menge langsam auf. Es war Augustus, in weiÃen Marmor gemeiÃelt, angetan mit einem Prachtharnischund mit lässig ausgestrecktem rechtem Arm. Von dieser Art gab es im ganzen Imperium wahrscheinlich einige tausend Statuen, allein in Rom sah man auf jedem Spaziergang mehrere Dutzend davon. Dennoch war sie beeindruckend, und Caius überkam das gleiche Gefühl wie beim Anblick des goldenen Wagenlenkers vor dem
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