Silberband 002 - Das Mutantenkorps
die Zeit. Die Zeiger der Uhr rückten auf elf Uhr.
Einige Räume weiter entsann sich John Mantell seiner Unterredung mit Clara Thompson. Einen Augenblick lang kämpfte er mit dem Gedanken, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen und dem Scherz eines Angestellten seine kostbare Zeit nicht zu widmen, aber dann entsann er sich seiner Pflichten. Wie gut konnte aus einem solchen Scherz einmal eine bitterernste Verwicklung entstehen. Er drückte einen Knopf seines Tischapparates. Nach einigen Sekunden meldete sich eine Frauenstimme.
»Miß Thompson? Was ist mit Derring? Haben Sie ihm gesagt, daß ich ihn zu sprechen wünsche?«
Clara hatte Mantell schon fast vergessen. Sie stammelte: »Vielleicht wäre es besser, Mr. Mantell, Sie würden den Vorfall vergessen. Es war sicher nur ein Scherz Mr. Derrings. Man sollte ihm keine Beachtung schenken und …«
»Dann hätten Sie nicht zu mir kommen sollen. Also, was ist? Wollen Sie Mr. Derring mitteilen, daß ich ihn zu sprechen wünsche?«
»Ich – ich …«
Mantell hörte nicht länger zu, sondern legte ärgerlich auf. Dann erhob er sich mit einem Ruck und verließ das Büro. Er begegnete Clara an der Tür zum Vorzimmer. Sie erschrak, als sie ihn sah.
»Was ist los? Wohin wollen Sie?« fuhr er sie an.
Sie wurde noch verwirrter.
»Zu – zu Ihnen, Mr. Mantell. Ich wollte Sie bitten, Mr. Derring jetzt nicht zu stören. Er hat wichtige Arbeit.«
Mantell zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe.
»Wichtige Arbeit? So? Na, das wollen wir doch mal sehen.«
Er schritt an Clara vorbei und öffnete die Tür. Er sah, daß sein Untergebener über einem Haufen Akten hockte. Ärgerlich hob Derring den Kopf und schaute dem Eintretenden verständnislos entgegen, ehe ein Zug des Erkennens über seine Züge huschte.
»Ah, Mr. Mantell! Womit kann ich dienen?«
Mantell stemmte beide Fäuste auf die Tischplatte.
»Sagen Sie, Mr. Derring, Sie sind wohl verrückt geworden, sich derartige Scherze zu erlauben. Fordern einfach geheimste Akten an, als handle es sich um Toilettenpapier. Sie tun so, als seien Sie der Verteidigungsminister. Selbst der hat nicht das Recht, so einfach mir nichts, dir nichts … Was ist Ihnen denn?«
Mit Sammy ging eine erschreckende Veränderung vor. Zunächst hatten seine Augen verständnislos auf den tobenden Abteilungsleiter geblickt, dann wurden sie leer und glanzlos. Als der Glanz dann zurückkehrte, wirkten die Augen hart und erbarmungslos. Mit spröder Stimme fragte Sammy:
»Wie heißt der Verteidigungsminister?«
Mantell schnappte nach Luft. Er begriff überhaupt nichts mehr.
»Derring! Sie sind wahnsinnig geworden! Wollen Sie behaupten, daß Sie vergessen haben, wie unser Chef heißt?«
Sammy nickte.
»Ja, ich habe es vergessen. Wie heißt er?«
Obgleich Mantell nicht gewillt war, einem Verrückten jeden Willen zu tun, zwangen ihn die kalten Augen seines Gegenübers dazu.
»Daring, Samuel Daring. Sie sollten es besser wissen als ich, Derring, denn der Ähnlichkeit Ihrer Namen wegen gab es schon oft peinliche Verwechslungen. Das aber ist noch lange keine Grund …«
Er verstummte. Hinter dem Tisch sprang Sammy hoch. Er zeigte auf die Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Wenn ich nicht der Verteidigungsminister bin, warum hat man mir dann die verlangten Unterlagen gegeben?«
Mantell warf einen Blick auf die Akten. Er verstand das selbst nicht. Ehe er eine Vermutung äußern konnte, wurde hinter ihm die Tür geöffnet. Smith trat ein, gefolgt von Clara Thompson. In Smiths Gesicht war ein ärgerlicher Zug. Mantell erschrak. Er wußte, daß dieser unscheinbare Smith größte Vollmachten besaß. Hatte er einen Fehler begangen?
»Was geht hier vor?« fragte Smith. Er wandte sich an Mantell. »Hat Miß Thompson Ihnen nicht gesagt, daß Sie nichts unternehmen dürfen?«
»Er hörte nicht auf mich«, warf Clara ein.
»Sie kam zu mir und meldete mir, daß Mr. Derring sich einen Scherz erlaubt habe«, verteidigte sich Mantell. »Ich wollte Derring bitten, künftig derartige Späße zu unterlassen. Die Ähnlichkeit seines Namens mit dem des Verteidigungsministers darf keine Veranlassung dafür sein, daß er …«
Niemand hatte auf Sammy Derring geachtet. Er hatte sich wieder gesetzt, und das Lebendige in seinen Augen war plötzlich erloschen. Den Kopf starr aufgerichtet, saß er hinter seinem Schreibtisch. Die Augen blickten ausdruckslos ins Leere. Fünf Sekunden dauerte das, keinen Augenblick länger. Dann kehrte das Leben in sie
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