Silberband 005 - Vorstoss nach Arkon
Wissen und Sehen sind zweierlei Dinge. Bull auf jeden Fall stockte bei dem phantastischen
Anblick eine Zeitlang der Atem. Er sah, in mattleuchtendem Weiß, die fremdartigen Umrisse der
Büsche und Bäume, die aus dem grasigen Boden wuchsen, und hier und dort, wie willkürlich
hingestreut, in greller Beleuchtung die arkonidischen Trichterbauten. Sie unterschieden sich in
der Größe voneinander wie die Steine im Sand. Es gab kleine pavillonartige Gebäude, die sich
anmutig hinter Büschen zur Hälfte versteckten. Wohntrichter, die zwischen zehn und dreißig Meter
hoch sein mochten, und schließlich riesige Bauten, deren oberer Rand vom Boden mehr als hundert
Meter entfernt war.
Auf verhältnismäßig dünnen, manchmal beachtlich langen Stielen stehend, waren die Trichter
Wunderleistungen der Statik und des verwendeten Baumaterials. Sie waren außerdem ein weiterer
Hinweis darauf, wie sehr die arkonidische Zivilisation dazu übergegangen war, sich gerade im
privaten Bereich nicht mit dem abzufinden, was die Technik von sich aus anbot, sondern die
Technik nach den eigenen Wünschen zu formen.
Plötzlich tauchte der Japaner vor Rhodan und Bully auf.
»Fertig?« fragte Rhodan.
»Ja«, antwortete Tako. »Ich habe mir die meisten Gebäude aus der Nähe angesehen. Wenn Sergh,
wie wir vermuten, im größten von ihnen lebt, dann müssen wir uns halb rechts halten.«
»Wie weit?«
»Ungefähr sechs Kilometer.«
»O verflucht!« schimpfte Bull. »Sechs Kilometer auf des Teufels Präsentierteller.«
»Wir wollen hoffen, daß die Arkoniden schlafen«, beruhigte ihn Rhodan. »Da das Monitorsystem
nicht angesprochen hat, sind sie sorglos. Kritisch wird die Lage erst, wenn wir in Serghs Haus
eindringen.«
Serghs Palast, wenn er das war, konnte einem Mann die Platzangst beibringen, wenn
er in der Nähe des Trichterstiels stand und an den schräg nach außen hin ansteigenden Wänden
hinaufschaute.
Serghs Gebäude war das einzige, dessen Wände in sanft opalisierendem Licht schimmerten. Schon
aus drei Kilometern Entfernung war es Rhodan und seinen Begleitern ein deutlicher Wegweiser
gewesen. Serghs Trichter war auch einer der wenigen, von dessen Schrägwänden hier und dort
Hochstraßen ausgingen, die, durch Säulen gestützt, quer durch den Park zu anderen Gebäuden oder
zur Stadt Naatral hinüberführten.
Der Trichter war nach Rhodans Schätzung etwa einhundertundachtzig Meter hoch, und sicherlich
beherbergte er nicht nur Serghs private Wohnung, sondern auch die wichtigsten Büros der
Administration.
Rhodans Marsch war gefahrlos verlaufen. Die Außenmikrophone hatten ein paarmal Geräusche
übertragen, die von arkonidischen Fahrzeugen herzurühren schienen, aber weder hatten die
Eindringlinge jemals eines der Fahrzeuge zu Gesicht bekommen, noch waren sie gar einem Arkoniden
begegnet.
Die GANYMED meldete nichts Neues.
Serghs Trichter besaß außer den Hochstraßen, die ihn mit der Außenwelt verbanden, noch den in
dieser Architektur üblichen Eingang im Trichterstiel, ein breites Portal, mit der Unterkante etwa
zwei Meter über dem Boden liegend, so daß es wohl durch das übliche Falt-Transportband zu
erreichen war.
Eine Sekunde lang spielte Rhodan mit dem Gedanken, sich dem Portal so weit zu nähern, bis der
Melder ansprach, und darauf zu warten, daß der Hausherr unbefangen genug sei, um das Band
herunterzulassen und die Tür zu öffnen.
Dann verwarf er den Gedanken wieder.
Keine Spielereien, ermahnte er sich.
Sie standen dreißig Meter von der Wand des Stiels entfernt. Rhodan wußte, daß der Melder erst
ansprach, wenn der Besucher sich ihm bis auf zwölf Meter genähert hatte.
Eine Viertelstunde lang beobachteten sie schweigend den gewaltigen Bau, aber es gab kein
Zeichen dafür, ob die Leute in seinem Innern schliefen oder wachten. Die Trichterwände hielten
die Umwelt ab, und in demselben Maße sorgten sie dafür, daß nichts, was drinnen geschah, nach
draußen drang.
»Worauf warten wir noch?« fragte Bull schließlich ungeduldig. »Wir vergeuden unsere Zeit.«
Rhodan nickte. »Tako …«
»Ich bin bereit.«
»Hören Sie gut zu, Tako. Ich gebe Ihnen in Stichworten noch einmal die wichtigsten Hinweise:
Der Trichter ist hohl, Innenwände terrassenförmig. Auf den untersten Terrassen gewöhnlich Gärten.
Darüber Verwaltungs- und Wohnräume, zum Teil zum Trichterinnern hin offen, zum andern Teil durch
Wände abgeschirmt. Gehen Sie nicht mit der Vorstellung, Sie kämen in
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