Silberband 013 - Der Zielstern
prägnanten Zügen und grauen Augen spöttisch die Mütze vom Kopf zog und in halb sitzender Haltung
eine angedeutete Verbeugung machte, fühlte sich Auris verwirrt.
Konsterniert schaute sie den davonjagenden Fahrzeugen nach, die Sekunden später hinter den
Hallen der Kraftwerkzentrale verschwanden.
Hastig gab Auris die Nachricht per Funk an ihre Zentrale weiter. Sie erhielt die Anweisung,
die offenbar verschreckt aufgebrochenen Fremdlinge nicht mehr zu belästigen.
Auris konnte sich nicht erklären, warum sie an dem Begriff ›verschreckt‹ unvermittelt zu
zweifeln begann. Dieser große, überlegen und beherrscht wirkende Mann hatte nicht den Eindruck
erweckt, als wäre er vor ihr geflohen.
Sie versuchte, klar und vorurteilslos über die Situation nachzudenken. Endlich entschloß sie
sich, auf dem schnellsten Weg zu ihrer Zentrale zurückzukehren, um weitere Informationen über die
Frühgeschichte der arkonidischen Auswanderer einzuholen.
Auris von Las-Toór war Galakto-Soziologin. Es gehörte zu ihrem Aufgabenbereich, die
sozialpolitischen Probleme auf fremden, von Akonen besiedelten Welten zu überprüfen und sie
gegebenenfalls nach den Richtlinien der uralten Gesetze zu bearbeiten.
Als sie in schneller Fahrt zum Transmitterstützpunkt zurückflog, war sie der Meinung, die Lage
ohne besondere Komplikationen klären zu können. Unwillig über sich selbst, versuchte sie, die
hochgewachsene Erscheinung aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Wenn dieser Mann nur nicht so
spöttisch und überlegen auf sie hinabgesehen hätte.
Leutnant Brazo Alkher zog die Fingerkuppen von den stufenlosen Waffenzielschaltern
zurück, als der letzte Shift wohlbehalten in der großen Äquatorialschleuse der FANTASY
verschwunden war.
Stana Nolinow, der augenblicklich nicht von der Schiffsführung beansprucht wurde, war vor
einigen Minuten in der Feuerleitzentrale erschienen, um Brazo genau über die letzten Neuigkeiten
zu informieren.
»… niemand hat auf unsere Leute geachtet«, sagte er lautstark. »Eine Frechheit ist das. Aber
das Mädchen – hm, Klasse!«
Er rollte mit den Augen und schnalzte mit den Fingern.
»Hast du sie gesehen, Brüderchen? Nein, natürlich nicht. Du mußtest ja auf deinen Zielschirm
blicken. Ich aber habe an der Fernbildübertragung teilgenommen. Mahaut hatte mir versprochen,
alle wesentlichen Dinge mit der tragbaren Kamera einzufangen. So habe ich sie gesehen. Stell dir
die schlanke, pneumatische Figur …«
»Wie?«
»… pneumatische Figur einer Göttin vor«, fuhr Stana ungerührt fort. »Haare lang, leicht
gewellt und von der Farbe alten Kupfers, das bei einem bestimmten Lichteinfall grünlich
schimmert. Dazu die schmale, gradrückige Nase einer edlen Griechin, die vollen Lippen der
Spanierin und die abweisende Kühle einer englischen Königin. Sie hat Eis in den grünen
Sphinxaugen, aber als sie Rhodan sah, hat sie zweieinhalbmal schneller geatmet als vorher.«
»Nicht dreimal so schnell?«
»Zweieinhalbmal, ich habe mitgezählt.«
»Finden Sie diesen Leutnant nicht etwas närrisch, Sergeant Enscath?« erkundigte sich Brazo bei
dem alten Unteroffizier.
»Es steht mir nicht zu, die Offiziere des Schiffes in aller Öffentlichkeit zu beurteilen«,
schmunzelte Enscath.
»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben«, drohte Stana. »Freunde, ihr habt ja keine Ahnung,
welche himmlischen Erscheinungen es auf diesem wüstenhaften Mond gibt. Ihr seht mich hingerissen,
durcheinandergewirbelt und bereit, mein Leben für die Menschheit zu opfern, vorausgesetzt, ich
darf mit ihr über das Schicksal der FANTASY-Besatzung verhandeln. Ich würde lächelnd in den Tod
schreiten, ach was – springen, aber dann wäre ich …«
»Besatzung auf Manöverstationen!« dröhnte Claudrins Stimme aus allen Lautsprechern. »Klar zum
Alarmstart, Bestätigung!«
Stana verstummte. Gekränkt sah er sich um.
»So ein Rohling«, murmelte er. »Mich derart grob zu unterbrechen. Habt ihr überhaupt zugehört?
Ich habe von ihr gesprochen.«
»Stimmt, aber jetzt entfleuche zu deinen Robotern, du verhinderter Dichter«, sagte Brazo
gefühlskalt.
Stana stapfte wortlos auf die Panzerschleuse zu.
Sergeant Enscath meinte besorgt: »Sir, wir sind um Ihr Wohlergehen bemüht. Wenn Sie vielleicht
einem Roboter eine rote Perücke aufsetzen wollen – ich könnte einmal mit dem Lageroffizier
sprechen.«
Stana warf Enscath einen vernichtenden Blick zu. »Schafskopf!«
Als er verschwunden war,
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