Silberband 014 - Rhodans Sohn
die Priester
eines Tempels sich zu einem solchen Schritt aufrafften. Und selbst dann baten sie gewöhnlich den
Vorstand noch um seine Zustimmung.
Das hatte Argagal nicht getan. Die Versammlung würde tagen – und Kalal war nicht gefragt
worden.
Kalal wußte, was das bedeutete.
Er stand auf.
»Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte er, jetzt, nachdem er den ersten Schreck überwunden
hatte, wieder mit ruhiger, freundlicher Stimme.
Argagal und seine Begleiter wandten sich wieder um und gingen hinaus. Sie führten Kalal durch
den breiten Hauptgang der Tempelpyramide bis zum großen Versammlungssaal.
Dort begab sich Kalal ohne Zögern an den Platz am oberen Ende des großen Tisches, den Platz
des Vorsitzenden, der ihm gebührte. Er überflog die Reihen seiner Untergebenen, die aufmerksam
hinter ihren Sesseln standen und ihn ansahen. Er erkannte, daß sie alle gekommen waren. Nur
diejenigen fehlten, die im Einsatz waren.
»Es ist eine Hauptversammlung einberufen worden«, erklärte Kalal mit spröder Stimme. »Man gebe
mir bekannt, wer diese Einberufung veranlaßt hat und welches der Grund dafür ist.«
Mit diesen Worten galt die Versammlung als eröffnet. Die Priester ließen sich auf ihren
Sesseln nieder. Nur einer blieb stehen, Argagal.
»Ich habe den Antrag gestellt, ehrwürdiger Herr«, entgegnete er ruhig. »Der Grund dafür ist
die außergewöhnlich gefährliche Lage, in die unser Tempel auf Utik geraten ist. Und zwar rührt
die Gefahr von dem fremden Gerät her, ehrwürdiger Herr, das du in der Brust trägst.«
Da war die Anklage heraus. Kalal erkannte seine Chance sofort. Es wunderte ihn, daß Argagal
gerade seinen ersten und wichtigsten Satz nicht klüger formuliert hatte. Wenn er so weitermachte,
würde die Hauptversammlung mit der endgültigen Niederlage für ihn enden.
Argagal setzte sich. Kalal als Vorsitzender hatte es nicht nötig, sich zu erheben, als er
antwortete: »Ich bin mir selbst der Gefahr bewußt, die das fremde Gerät bedeutet. Aber selbst
wenn eine Möglichkeit bestünde, es zu entfernen, dürfte ich es nicht tun, denn ich habe es vom
Hohen Baalol selbst erhalten.«
Er sah in die Runde und war nicht besonders zufrieden mit dem, was er da beobachtete. Daß der
Aktivator aus den Händen des Hohen Baalol kam, hatte er bis jetzt noch niemand gegenüber
zugegeben. Er war sicher gewesen, daß seine Erwiderung alle Bedenken darüber, daß das Gerät an
seinem Platz bleiben und weder ihm noch seinem Träger etwas angetan werden dürfe, zerstreuen
werde.
Das war jedoch offensichtlich nicht der Fall. Die Priester sahen ihn nach wie vor unfreundlich
an. Kalals Erklärung beeindruckte sie nicht.
»Gestatte mir, ehrwürdiger Herr«, begann Argagal von neuem und erhob sich dabei, »daß ich eine
Vermutung ausspreche.«
Kalal nickte ihm zu.
»Der Hohe Baalol, unser allerehrwürdigster Herr, hat dir das Gerät gewiß gegeben, damit es
einen ganz bestimmten Zweck erfüllt. Diesen Zweck kann es offenbar jedoch, vielleicht wegen eines
Konstruktionsfehlers, nicht erfüllen. Statt dessen bringt es eine andere Wirkung hervor, die für
uns auf Utik und auch sonstwo höchst gefährlich ist. Ich bin sicher, daß der Hohe Baalol, wenn er
wüßte, welches Unheil angerichtet wird, seine Meinung über die Unantastbarkeit des Geräts sofort
ändern würde.«
Kalals Stirn bekam ärgerliche Falten.
»Das ist pure Vermutung«, antwortete er zornig. »Niemand hat das Recht, unserem
allerehrwürdigsten Herrn Worte in den Mund oder Gedanken in den Kopf zu legen, die er gar nicht
geäußert hat. Wir können nichts unternehmen, bevor der Hohe Baalol sich entschieden hat.«
Zum erstenmal zeigte Argagal eine Art Lächeln, ein höhnisches, schadenfrohes Lächeln.
»Darf ich dich fragen, ehrwürdiger Herr, wie der Hohe Baalol eine Entscheidung treffen soll,
wo er doch gar nichts von den Dingen weiß, die hier vorgehen?«
»Wir werden ihn benachrichtigen, sobald ich die Zeit für gekommen halte«, war Kalals
Antwort.
»Ist die Gefahr nicht schon groß genug?« fragte Argagal.
»Willst du es wagen, mir Vorschriften zu machen?« donnerte Kalal.
»Ich mache dir keine Vorschriften, ehrwürdiger Herr«, antwortete Argagal ruhig. »Aber wir alle
sehen, daß du ein wichtiges Prinzip unseres Glaubens verletzt. Du stellst dein persönliches Wohl
über die Belange der Absoluten Wahrheit.«
Kalal sprang auf. Er wußte, daß er diesen Vorwurf nicht durchgehen lassen durfte, sonst war
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