Silberband 037 - Arsenal der Giganten
»Im Grunde genommen kann überhaupt
nichts passieren. Wenn es in der Stadt eine funktionierende Reparaturzentrale gäbe, wäre das
Schott längst instandgesetzt worden. Da es nicht repariert wurde, dürften auch die zerstörten
Verteidigungswaffen noch nicht wieder funktionieren.«
Er nahm einen präparierten Pfeil aus dem Köcher, setzte die Nock auf die Mitte der Sehne und
nickte seinem Sohn zu.
»Fertig!«
Perish Mokart stieß einen schrillen Schrei aus und federte hoch. Die Sprungkraft des Oxtorners
verblüffte jeden Erdgeborenen, der so etwas noch nie gesehen hatte. Die Soldaten reckten die
Hälse.
Perish war ungefähr zwanzig Meter hoch gesprungen. Im Flatterflug der Fledermäuse schwang er
sich völlig lautlos bis auf hundert Meter Höhe, dann flog er auf das zerschossene Eingangsschott
zu.
Cronot zielte mit der Pfeilspitze auf die geschwärzten Löcher, hinter denen sich die
Waffenmündungen der Abwehrautomatik einst verborgen hatten – oder wieder verbargen.
Aber nichts geschah.
Perish stieß pfeilschnell auf das Schott hinab – und flatterte wieder empor. Die
künstlichen Flughäute bewegten sich rasend schnell.
Im nächsten Augenblick hatte er einen Bogen beschrieben und huschte durch das zerschossene
Schott hindurch.
Mokart senior atmete hörbar auf.
»Der Weg ist frei, Herrschaften!«
Captain Geraldi schrie einen Befehl, und der Schweberpilot startete mit voller Beschleunigung.
In seinem Eifer wäre er beinahe gegen die Felswand neben dem Schott geprallt. Im letzten Moment
riß er das Steuer herum. Mit einem Laut, der wie das Knallen eines Sektpfropfens klang, schoß der
Schweber durch die Öffnung.
»Satansbraten!« fluchte Cronot Mokart.
Er spurtete los und erreichte die Öffnung. Noch einmal blickte er zurück, sah das U-Boot
friedlich am Kai schaukeln, beleuchtet von den roten und grünen Positionslampen, dann stieg er in
die Unterwelt des Neptunmondes Triton.
Perish Mokart schwebte unterdessen über der alten lemurischen Fluchtsiedlung. Eine künstliche
Atomsonne strahlte Hunderte von Metern über ihm an der Kuppeldecke und beleuchtete eine Stadt von
den Ausmaßen Chicagos in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Die Dächer der Gebäude schimmerten, als wäre die Stadt erst vor wenigen Tagen fertiggestellt
worden. Es gab keinerlei Anzeichen von Verfall oder Korrosion. Nur die Parks waren zu
undurchdringlichen Dschungeln geworden, hatten sich aber nur um wenige Meter ausgedehnt, da das
Material der Straßen und Gebäude ihren wuchernden Wurzeln weder nachgab noch Nahrung bot.
Praktisch bestanden sie nur noch aus grünen, verfilzten Klumpen von etlichen hundert Metern
Durchmesser. Tiere schienen die alten Lemurer nicht nach Triton exportiert zu haben – oder
sie waren inzwischen ausgestorben.
Der Kosmohistoriker empfand Wehmut bei diesem Anblick.
Die Tragödie der Ersten Menschheit kam ihm hier besonders stark zu Bewußtsein. Und er
überlegte, wo die heutige Zweite Menschheit jetzt stünde, wenn es vor fünfzigtausend Jahren
einigen tausend Lemurern gelungen wäre, sich an diesen Zufluchtsort zu retten.
Vielleicht hätte die Geschichte der Zweiten Menschheit schon wenige Jahrzehnte nach der
Verwüstung der Erde begonnen. Vielleicht wäre die Heimatgalaxis längst erforscht und
besiedelt – und vielleicht würde dann heute nicht ein planetoidengroßer Roboter draußen vor
der Plutobahn schweben und zusammen mit den schrecklichen Dolans die Menschheit
bedrohen …
Er schüttelte diese Gedanken gewaltsam ab.
Mit Wenn und Aber war noch nie etwas erreicht worden.
Man mußte die Gegebenheiten anerkennen und sein Handeln danach einrichten, nur dann meisterte
man die Gegenwart.
»Hallo, Perish!« scholl es aus dem winzigen Funkaggregat an seinem linken Ohr. »Ich denke, du
solltest jetzt landen. Hier wartet eine Menge Arbeit auf uns.«
»Einen Augenblick noch, Dad!« sprach Perish Mokart in das kleine Mikrophon vor seinen Lippen.
»Ich möchte mich noch ein wenig umsehen.«
»Gut!« erklärte sein Vater. »Aber nicht zu lange!«
Der Oxtorner steuerte einen Turm im Zentrum der ausgedehnten Stadt an. Das Bauwerk ragte
mindestens zweihundert Meter in den künstlichen blauen Himmel des Gewölbedaches, während die
übrigen Gebäude lediglich Höhen bis zu hundert Metern erreichten. Eine weitausladende Plattform
dicht unterhalb der Spitze zeigte an, daß hier einmal Luftgleiter gelandet waren – oder
hatten landen sollen …
Behutsam
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