Silberband 041 - Die Konstrukteure des Zentrums
Geborgenheit, sondern nur Leben verriet. Leben, das Leben gab.
Zuerst war es ein wilder Schmerz, der Gucky durchzuckte, aber dann verwandelte sich dieser Schmerz in glückhaftes Suchen und Finden, ein Sichvereinen mit dem, was er gesucht hatte, solange er vorher auch existierte.
Dunkel, Wärme und Bewegung, pulsierende Bewegung.
Das blieb.
Guckys Bewußtsein aber war von dieser Sekunde an gespalten, und er konnte Vergangenheit und Zukunft zugleich und nebeneinander wahrnehmen und erleben. Er wußte, daß er soeben die ersten Sekunden seines Lebens noch einmal durchmachte, wenn auch im Zeitraffertempo und in einer Art holographischer Erinnerung. Er wußte aber auch, was in der Gegenwart geschah, denn alle seine Empfindungen kehrten zurück, und damit auch die Angst um seine Freunde, die bei der KC-1 zurückgeblieben waren.
Die Wärme wurde intensiver, das Pulsieren regelmäßiger und schutzverheißender. Das Dunkel verlor seine Schrecken und wurde zur Gewohnheit. Gucky fühlte sich plötzlich geborgen wie noch nie in seinem Leben, und er wußte, daß ihn etwas umhüllte, das alle Gefahren von ihm abzuhalten vermochte, und wenn es selbst das eigene Leben dafür hergeben mußte. Bei allen Lebewesen des Universums aber gab es immer nur ein einziges Individuum, das sein Leben für ein anderes zu opfern bereit war:
Die Mutter.
Die Erkenntnis traf Gucky wie ein Schlag. Aber dann sagte er sich, daß er den Verstand noch nicht verloren hatte und sich auf keinen Fall durch Tricks der Beherrscher dieses Planeten verrückt machen lassen wollte. Denn nur das konnte ihre Absicht sein. Jede andere wäre mehr als unlogisch.
In Wirklichkeit geschah etwas ganz anderes, aber das konnte der Mausbiber nicht wissen. Es gab Gedankenimpulse – außer seinen eigenen, embryonalen Gedankenimpulsen, die ihm die Wahrheit verraten hätten.
Der Hyperphysiker, Dr. Bysiphere, nannte den Vorgang später eine ›biophysikalische Hyperregenerierung‹, worunter vorerst nur er selbst sich etwas vorzustellen vermochte. In der Kristallhalle wurde Guckys atomares Körpergefüge von der goldenen Strahlung in den Urzustand zurückversetzt. Er wurde, ohne es verhindern zu können, abermals zum Embryo, behielt aber nach einer kurzzeitigen Trennung von Geist und Körper alle seine Merkmale, die sein späteres Leben formen sollten.
Oder formten …?
Bei vollem Bewußtsein erlebte er seine Wiedergeburt.
Als er das begriff, wenn auch nicht in vollem Ausmaß, begann er sich verzweifelt gegen das phantastische Geschehen zu wehren. Er wollte teleportieren, aber noch besaß er keinen Körper. Das, was er einmal gewesen war, hing in der Form einer ausglühenden Energiespirale im Raum und sog bereits wieder seinen Geist auf. Erneut fiel die unbeschreibliche Angst über ihn her und drohte ihn ins Dunkel des Vergessens sinken zu lassen.
Sekunden vergingen, aber für ihn waren es Wochen und Monate. In ihnen erlebte er sein Heranwachsen, sein Reifen, sein Größerwerden – und die allmähliche Zusammenziehung und Verstofflichung der Spirale. Er spürte, wie er seine geistige Freiheit verlor und wieder an einen Körper gefesselt wurde.
Aber was war das für ein Körper …?
Auf dem Boden der Kristallhalle, die sich allmählich mit Flüstern und Singen als akustische Begleiterscheinung mit Licht füllte, lag ein winziges, kaum fingerlanges Etwas von rotbrauner Färbung und mit einem Pelz bekleidet. Es besaß die Form einer Maus, die sich mit einem Biber gepaart hatte.
Dieses Etwas war Gucky, kaum fünf Minuten nach seiner Geburt.
Er konnte denken, richtig denken, aber die Furcht vor dem, was mit ihm geschehen war, war stärker als alle Vernunft. Er begann, nach seiner Mutter zu rufen, die schon viele hundert Jahre tot war und ihn doch gerade erst geboren hatte. Er wälzte sich auf dem fluoreszierenden Kristallboden, dessen Wärme ihm guttat. Aber das geheimnisvolle Flüstern und Singen, das in der Luft hing, störte ihn.
Er begann zu wimmern und den Namen der Mutter zu rufen, aber er bekam keine Antwort. Dafür begann sein Verstand zu arbeiten und versuchte, das Geschehene zu erklären. Aber er konnte nur die Tatsachen feststellen, mehr nicht.
Die Konstrukteure des Zentrums beherrschten die biophysikalische Hyperregenerierung eines alten Körpers. Ihnen hatte es nicht genügt, den Alterungsprozeß eines Lebewesens einfach anzuhalten. Vielmehr waren sie in der Lage, einen Körper, dessen atomare Struktur für alle Zeiten unveränderlich war,
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