Silberband 074 - Konzil der Sieben
Grenzen, und ein Wechsel der Jahreszeiten entbehrte jeder natürlichen Dramatik. Hoptrec-Haich war vollindustrialisiert, aber diese uralte Welt hatte in jeder Hinsicht das ökologische Gleichgewicht behalten können. Einer der Beweise waren die Inseln hinter dem Riff, jenseits der Klippen, die so gut wie naturbelassen und von der Zivilisation nicht geschädigt waren.
»Diese Laren! Diese verdammten Laren!« stöhnte sie auf.
An ihren halbhohen Stiefeln klebten nasse Pflanzenteile. Sie rannte über den weißen Sand, vorbei an den dunkelgrünen, weichen Rasenflächen, auf den langen Schwimmsteg zu. Dort war eine Reihe bewußt altertümlicher Boote festgemacht. Eines davon gehörte der Inselverwaltung, deren Angestellte sie war.
»Ich bin nur ein kleines Rädchen in der Organisation!« sagte sie leise und zwang sich mit aller Gewalt dazu, nicht mehr zu rennen. Ein paar Boote waren besetzt, es gab einige Schwimmer, und auf den Schwimminseln saßen und lagen Sonnenhungrige. Siete-Torr betrat den Steg. Ein langer Weg lag noch vor ihr, in einigen Etappen.
Sie blieb stehen und holte tief Luft. Die innere Aufregung drohte sie zu ersticken. Langsam sah sie sich um. »Niemand verfolgt mich!« stellte sie nicht ohne Verwunderung fest. Aber das hatte wenig zu bedeuten; die beiden Laren brauchten nicht hinter ihr herzurennen. Ein einfaches Kommando genügte, und entlang ihrem langen Weg würden zahlreiche Fallen aufgestellt werden. Sie erinnerte sich an die Szene, an ihr Erschrecken, als sie die etwa fünfzehn Sätze mit der furchtbaren Wahrheit verstanden hatte, an ihren Versuch, ihr Entsetzen möglichst souverän zu verbergen. Waren die beiden massigen, breitschultrigen Laren mit der unauffällig-auffälligen Kleidung auf sie aufmerksam geworden?
Sie hoffte es nicht, denn das würde ihren Versuch schon jetzt zum Scheitern verurteilt haben.
Nur ein wenig beruhigt, aber sich mühsam beherrschend, ging sie weiter. Unter den Sohlen der Stiefel schwankte der weiße Steg ein wenig in der Dünung des Ozeans. Siete-Torr ging bis in die Mitte des Stegs. Sie mußte hinüber zum Kontinent. Das würde einige Zeit dauern; eine ungefährliche Sache, wenn sie nicht verfolgt wurde. Ein Wagnis auf Leben und Tod, wenn sich die beiden Laren an sie erinnerten.
Sie gab sich innerlich einen Ruck und sprang auf das Heck des Bootes. Noch war niemand auf sie aufmerksam geworden, denn Boote, die ablegten oder anlegten, waren normal. Sie balancierte über den schwankenden weißen Körper und machte die zwei Magnethaken los, die das Boot mit dem Steg verbanden. Der Motor brummte auf. Im Heck des schlanken Bootes erschien wirbelndes weißes Wasser. Mit zwei Handgriffen löste Siete-Torr auch den magnetischen Anker, dann setzte sie sich. Das Boot schoß seitlich vom Steg weg, noch sehr langsam, hinaus auf die freie See. Sie blickte angestrengt nach Schwimmern aus, aber zwischen ihr und dem Horizont sah sie nur vereinzelt weiße Wellenkämme.
»Ich werde es versuchen!« versprach sie.
Das Brummen der Maschine wurde lauter. Der Andruck preßte sie leicht gegen die Rückenlehne des stark gefederten Sitzes. Energiezufuhr, andere Uhren und Skalen, die Trimmanzeige … langsam kamen die Schrauben auf Touren, quirlten das Wasser auf.
»Hinüber zum Kontinent!«
Das Boot ging langsam aus der Verdrängerfahrt in die Gleitfahrt über. Nach einiger Zeit lag es nahezu waagrecht auf dem Wasser. Nur das Heck berührte die See. Eine Heckwelle, die immer mehr nach hinten gewandert war, kennzeichnete den Weg des Bootes; dreißig Grad waren die beiden Schaumstreifen auseinander. Die rasende Fahrt begann. Das Boot glitt schnell und in einer unaufhörlichen Kette von Sprüngen durch und über das Wasser. Noch war der Ozean ruhig, aber wenn das Boot aus dem Windschatten der Klippe herauskam, würde die See rauher werden. Siete-Torr kannte die Strecke genau, und sie hatte auch schon einige gefahrvolle Überfahrten mit dem Boot oder mit schwereren Schwimmkörpern hinter sich.
Sie kauerte, mit breiten, selbsttätigen Gurten angeschnallt, nach vorn gebeugt über der Steuerung und visierte einen imaginären Punkt jenseits des Horizonts an. Dort irgendwo war der kleine Hafen von Tur'-Han, weit vom Zentrum und den Hügeln entfernt.
»Und ich kann nicht einmal um Hilfe rufen, wenn etwas passiert. Wie sollte ich erklären, was ich hier suche? Um diese Zeit?«
So raste sie weiter. Das Boot schnitt durch das Wasser, spaltete es auf und glitt auf seiner eigenen Welle dahin.
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