Silberband 079 - Spur des Molkex
Zentimeter über dem Wasserspiegel wogten jene undefinierbaren Schleier, die wir schon in den Rissen und Spalten der Höhlengänge gesehen hatten. Manchmal formten diese Schleier Gebilde, die an fremdartige Lebewesen erinnerten, aber immer wieder lösten sie sich zu schnell auf, als dass wir Genaueres hätten erkennen können.
Die blinde Königin richtete sich so auf, dass sie auf den beiden ihr verbliebenen unteren Gliedmaßen stand. Ihre Fühler streckten sich zitternd in Richtung des Sees aus. Die Schleier wogten stärker durcheinander, dann formten sie eine schmale Gasse über dem See. Der Boden dieser Gasse wurde ebenfalls von Schleiern gebildet, aber durch ihn schimmerte der violette Spiegel des Sees hindurch. Das Rieseninsekt wandte sich uns zu und wedelte mit den Fühlern. Danach ließ es sich wieder auf alle vier restlichen Gliedmaßen fallen und betrat die Gasse. Seine Beine versanken teilweise im Boden, und um uns herum sprühten violett leuchtende Fontänen empor.
»Die Königin scheint ähnlich parapsychisch begabt zu sein wie Zeus«, sagte Tschubai. »Das dürfte erklären, warum sie überlebte und warum die Ploohns ihr Gebiet bisher mieden. Aber ihre Fähigkeiten scheinen geringer zu sein als die von Zeus.«
»Folgen wir ihr?«, fragte ich.
In diesem Augenblick betrat der Rorvic-Ploohn die Gasse. Er kam keinen Meter weit, dann versank er plötzlich. Über ihm spritzte violette Flüssigkeit hoch.
»Rorvic!«, rief ich erschrocken.
Ich wollte ihm nacheilen, aber Tschubai hielt mich zurück. Ernst sagte er: »Wenn Rorvic verloren ist, können wir ihm auch nicht helfen, Captain. Wir werden über den See teleportieren. Geben Sie mir Ihre Hand!«
Ich reichte ihm die Hand, doch dann zog ich sie wieder zurück. Der Teleporter sah mich verwundert und ein wenig ärgerlich an. »Was ist los, Tatcher?«, fragte er. »Fürchten Sie sich?« Er wollte nach mir greifen, doch ich wich zurück.
»Ich fürchte mich nicht, Sir«, antwortete ich. »Aber eine Art sechster Sinn warnt mich davor, mit Ihnen über den See zu teleportieren. Warum, weiß ich auch nicht.«
Ras Tschubai runzelte nachdenklich die Stirn. Der Unmut verschwand aus seinem Gesicht. »Vielleicht sollten wir diese Warnung beachten«, meinte er. »Hier sind übergeordnete Kräfte am Werk, die durchaus eine Teleportation beeinflussen könnten. Aber wir müssen über den See, ob wir wollen oder nicht. Wahrscheinlich stellt er das Hindernis dar, das die Verfolger niemals überwinden können. Alle anderen Hindernisse scheinen nur für eine gewisse Zeit zu wirken. Hören Sie es, Tatcher?«
Ich nickte, denn ich hörte deutlich, dass die Energieentladungen in geringerer Entfernung erfolgten. Die verfolgenden Ploohns waren demnach näher gekommen. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis sie uns eingeholt hatten.
Plötzlich sah ich etwas am Boden glitzern. Das Bhavacca Kr'a!
Ich streckte die Hände nach Rorvics Amulett aus, und – es hob vom Boden ab. Sanft glitt das Bhavacca Kr'a in meine Hände. Ich holte weit aus und warf das Amulett in die Gasse. Es durchschlug den trügerischen Boden und versank im See. Violette Flüssigkeit wallte hoch, brodelte und fiel wieder zurück.
»Was haben Sie getan, Tatcher?«, rief Tschubai.
»Ich habe das Amulett dorthin geworfen, wo Rorvic verschwunden ist. Nur dort kann es ihm helfen, falls es nicht schon zu spät ist, Sir.«
Abermals geriet der Boden der Gasse in Bewegung. Ein Schwall violetter Flüssigkeit wallte auf, schwappte über das Ufer und gab eine triefende, nackte Gestalt frei.
Die Gestalt war niemand anders als der fette tibetische Albino, der prustend und schnaufend aus dem See stieg, mich zornig anfunkelte und mit tiefer Stimme grollte: »Länger konnten Sie wohl nicht warten, Sie flügellahme marsianische Staubamsel?«
Er stieg ganz aus dem Wasser, salutierte vor Tschubai, was wegen seiner Nacktheit absolut lächerlich wirkte, und meldete: »Sir, Sonderoffizier Rorvic steht wieder zur vollen Verfügung. Wie lauten Ihre Befehle, Sir?«
Ras Tschubais Mundwinkel zuckten verdächtig, als er sagte: »Mein erster Befehl lautet: Ziehen Sie Ihren Kampfanzug an, den wir mitgebracht haben. Im Übrigen freue ich mich sehr, Sie wieder gesund und in Ihrer menschlichen Gestalt vor mir zu sehen.«
»Ich auch«, erklärte ich.
Das leichenhäutige Monstrum nieste schallend, dann richtete es seinen stechenden Blick auf mich und meinte: »Sie freuen sich bestimmt zu früh, Captain Hainu. Los, reichen Sie
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