Silberband 081 - Aphilie
aus. Bis hin zur Front der Gebäude und der Auffahrtsrampen bewegte sich nichts. Nur unsichtbar bleibende Vögel lärmten.
Crystal Talongh, achtundzwanzig Jahre jung, nutzte wie ein Tier des Dschungels die Deckung der verwilderten Pflanzen. Gleichzeitig beobachtete sie den Himmel über sich, die Umgebung und die Mikro-Orter an ihren Handgelenken. Niemand verfolgte sie. Minuten später tauchte sie aus dem Grün auf und stand knapp vor dem Leichnam.
Mit dem Fuß drehte sie den schweren Körper um. Gras klebte an den Rändern der Brandwunde, die Kinn, Hals und Brust verunstaltete. Die gebrochenen Augen des Mannes, der sich durch den Wahnsinn seiner Krankheit außerhalb der Gesellschaft gestellt hatte, blickten starr in den hellblauen Himmel hinauf. Es bestand kein Zweifel daran, dass er wirklich tot war.
Crystal warf sich wieder herum und verschwand zwischen den Bäumen. Mit der entsicherten Waffe in der rechten Hand rannte sie leichtfüßig auf die Front des nächstliegenden Gebäudes zu. Dort stand ihr kleiner Spezialgleiter.
Die Outsider, die Mitglieder einer Menschengruppe, die das Recht in ihre eigene Verantwortung genommen hatten, waren noch nicht akzeptiert, obwohl die offiziellen Organe die Jäger duldeten, ob sie nun ›Grizzly‹ Janzon hießen, Hammer Dross oder ähnlich berühmt waren wie Jocelyn, der ›Specht‹. Aber der Staat akzeptierte und unterstützte sie nicht. Noch nicht.
Folglich musste sie verschwinden, wollte sie keine Unannehmlichkeiten bekommen. Crystal Talongh nahm die Schultern zurück, atmete tief durch und freute sich auf ein heißes Bad. Ihre Freude – aber das wusste sie nicht – war abstrakt und weit entfernt von den tiefen Eindrücken, die von den Kranken wahrgenommen wurden. Für sie hatte ein Bad lediglich reinigende Funktion.
Crystal erreichte den Gleiter. Die winzige Detektorzelle registrierte ihre Individualschwingungen und gab die Sicherung frei. Jeden Unbefugten hätte ein furchtbarer Energieschlag mindestens gelähmt.
Alles in Ordnung, dachte Crystal. Sie war hungrig und brauchte einen Schluck Alkohol zur Entspannung. Ihr schulterlanges Haar wehte, als sie sich mit einer gleitenden Bewegung in den Sitz schwang, die Maschine startete und abhob. Das verfallene Haus, in dessen einundvierzigstem Stockwerk sie wohnte, lag keine drei Kilometer entfernt.
Immer mehr verfallene Gebäude tauchten auf. Die Gärten und Parks zwischen ihnen waren bis zur Unkenntlichkeit verwildert, und nicht einmal die Reinigungsroboter arbeiteten. Das Stadtviertel lag in Agonie. Ebenso wie seine Bewohner; die meisten waren zu schwach zum Leben, doch zu stark zum Sterben. Niemand kümmerte sich um sie.
Aber jetzt schlafen sie, dachte Crystal und bog nach links ab. Der Gleiter raste durch eine Unterführung, tauchte jenseits der schmutzübersäten Piste wieder auf, und geradeaus lag das Haus, dessen Fenster zersplittert und dessen Fassadenplatten angebrochen und von Vogelkot übersät waren. Der Gleiter bremste vor der Einfahrt zur Tiefgarage ab. Langsam steuerte Crystal die Maschine weiter, aber hier, nahe ihrer privaten Festung, brauchte sie von niemandem etwas zu befürchten.
Die Kranken schlugen nicht zurück, die anderen Outsider würden sie nicht behelligen, und die Polizei tolerierte offensichtlich ihre Arbeit. Am deutlichsten hatte sie das in Hawaii erkannt; von dort war sie in den Dschungel aus Stein, menschlichem Chaos, Verwahrlosung und verwilderten Grünanlagen übergesiedelt.
Der Gleiter tauchte in die leere Tiefgarage ein. Pfeiler und unbrauchbare Maschinen warfen groteske Schatten. Bevor Crystal ausstieg, aktivierte sie alle Sicherheitssysteme. Jeder Einbrecher würde sich bei dem Versuch, das Fahrzeug aufzubrechen, selbst in die Luft sprengen.
Im Zickzack rannte sie zur Rampe, gewohnheitsmäßig, hastete eine Treppe hinauf und sprang in den letzten noch funktionierenden Antigravschacht.
Langsam schwebte sie aufwärts.
Es war kurz vor sechs Uhr, und sie hatte die Hinrichtung des Kranken schon vergessen. In zwei Stunden würden die anderen hier hausenden Menschen wie Ratten die Häuser verlassen und ihre mühsamen Versuche beginnen, den neuen Tag zu überleben.
Dies war ihr eigener Bezirk. Im Schutz verschiedener Strahlensperren fühlte sie sich sicher. Crystal stand zehn Meter von der Tür ihrer Wohnung entfernt. Hier oben, nahezu einhundertfünfzig Meter über dem Boden, brannte die Sonne bald wieder auf die Terrasse herab.
Crystal zog den winzigen positronischen
Weitere Kostenlose Bücher