Silberband 081 - Aphilie
beträgt kaum einen Kilometer. Ihr Kontaktmann müsste sich also sehr nahe am Stummhaus aufhalten, um die Informationen erhalten zu haben. Ihr Gerät ist wertlos. Ich nehme an, es ist in einem Knochen verborgen und wurde bei der Untersuchung beschädigt. Schade.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort.«
»Dann überzeuge ich Sie: Behalten Sie das Gerät und senden Sie damit, soviel Sie wollen. Niemand wird Sie daran hindern. Genügt das?«
Deshalb also hatte er nie eine Bestätigung erhalten! Oder war nur der Empfänger zu schwach? Die Ungewissheit blieb.
»Also gut, was tun wir?«
Der Verwalter antwortete nicht sofort. Ebenso wie Vester wog er seine Chancen ab. Wenn er den Spion im Konverter verschwinden ließ, würde es nicht viele Fragen geben, dafür aber umso unangenehmere. In dieser Hinsicht würde er nur dann keine Schwierigkeiten haben, wenn der leitende Arzt ihm den Totenschein ausstellte. Damit jedoch besaß er einen Mitwisser. Hinzu kam, dass Kervin erst wirklich tot sein musste, ehe man ihn dem Konverter übergab.
Die zweite Lösung war, Kervin den Zweiten freizulassen. Das aber barg das Risiko eines Verrats in sich, was alles nur noch verschlimmern konnte. Wer durfte sich heute noch auf das Ehrenwort eines anderen Menschen verlassen?
Gab es keine dritte Möglichkeit, die ihn in keinem Fall belasten konnte? Sobald er die Schuld einem Dritten zuschieben konnte, zum Beispiel dem Polizeichef von Terence …?
Das funktionierte auch nicht. Die Leute des Gleiterverbandes wussten, dass ein Kervin Caughens ins Gefängnis eingeliefert worden war. Früher oder später wurden die Listen verglichen, und dann würde ein Name fehlen.
Der Verwalter zuckte zusammen und versuchte sich zu beherrschen.
Wieso würde ein Name fehlen? Es gab zwei Kervin Caughens, und wenn einer von ihnen verschwand, blieb immer noch der andere. Ein Irrtum bei der Programmierung des Hauptrechners – ja, sogar ein Irrtum der Positronik selbst … Ein gar nicht Existierender verschwand – wieso nicht? Der Verwalter unterdrückte das Grinsen der Genugtuung. »Sie werden verstehen, dass ich meine Entscheidung nicht überstürzt treffen kann. Ich lasse Sie jedoch nicht zu den Alten zurückbringen, sondern stelle Ihnen einen einzelnen Wohnraum zur Verfügung. Im Grunde genommen gibt es Sie überhaupt nicht. Sobald ich mir alles in Ruhe überlegt habe, teile ich Ihnen meinen Entschluss mit. Bis dahin bitte ich Sie, kein Wort mit den Wärtern zu sprechen und auch Ihren Sender nicht zu benutzen. Sie könnten erneut angepeilt werden und würden damit unsere private Abmachung sabotieren.«
Vester sah ein, dass er keine andere Wahl hatte, als das Angebot anzunehmen. »Also gut«, pflichtete er bei. »Aber denken Sie nicht zu lange nach, Verwalter. Es ist auch in Ihrem Interesse, wenn wir die Lösung bald finden.«
»Ich glaube«, erwiderte der Mann mit ausdrucksloser Miene, »ich habe sie fast gefunden.«
Als Vester später in dem abgeschlossenen Einzelzimmer auf dem Bett saß, ließ er sich noch einmal alles durch den Kopf gehen, und da er nicht weniger intelligent als der Verwalter war, verliefen sein Überlegungen in ähnlichen Bahnen. Es dauerte nur ein wenig länger, bis er zu der einzigen logischen Lösung kam, weil er sich zuerst in die Lage des Verwalters hineinversetzen musste.
Es gab zwei Caughens, aber außer Caughens selbst, der alten Frau und dem Verwalter wusste niemand davon. Die beiden Alten würden schweigen, wenn es plötzlich keinen Doppelgänger mehr gab, das war logisch und in ihrem eigenen Interesse.
Dann hatte noch der Polizeichef von Terence eine Ahnung, aber auch der würde wohlweislich den Mund halten.
Damit kannte nur der Verwalter das eigentliche Geheimnis. Und der Raum, in dem Vester sich jetzt aufhielt, konnte sehr gut eine Art ›Bestrafungsraum‹ sein, in den widerspenstige Insassen des Stummhauses gebracht wurden, bis sie wieder ›vernünftig‹ geworden waren.
Falls ein solcher ›Patient‹ starb … Vester erkannte in diesem Augenblick, was der Verwalter plante. Das ging ohne Formalitäten und Akten. Er starb, kam in den Konverter und wurde vergessen. Die Information über seinen Tod musste vom Verwalter erfasst werden. Aber der würde das mit Sicherheit ebenfalls vergessen.
Ein Kervin Caughens indes würde bis zu seinem natürlichen Tod im Stummhaus Nr. 23 von Melbourne leben …
Den Unterschied zwischen Tag und Nacht konnte er nicht feststellen, denn er besaß keine Uhr, und das Licht ging nicht
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