Silberband 094 - Die Kaiserin von Therm
sonst. Tero war klein und schmächtig gebaut und ertrug Strapazen mit einer Zähigkeit, die niemand ihm zugetraut hätte.
Yma Anahuac hatte nur drei Trümmerhaufen von Bosketchs Versteck entfernt gelebt. Dennoch waren sie einander nie begegnet. Sehr zum Bedauern von Glaus – denn Yma war eine Schönheit, grazil, langbeinig und von einer aufreizenden Hochmütigkeit, die sie aus ihrer langen Ahnenreihe südamerikanischer Indianerhäuptlinge herleitete.
Kolibri Manon hatte ihren Unterhalt mit dem ältesten Gewerbe der Welt verdient, bevor das Unbegreifliche geschah und die Menschen spurlos verschwanden.
Und schließlich Sepi Altamare, der früher Reinigungsroboter beaufsichtigt hatte. Er lebte in der Innenstadt und benutzte als Unterkunft einen seiner Roboter, nachdem er dessen positronische Innereien ausgeräumt hatte. Sepi war in Glaus' Alter, Mitte fünfzig, gab sich aber wie ein Hundertfünfzigjähriger. Er ging vornübergebeugt, sein Haar war weiß, und von den zweiunddreißig Zähnen fehlten ihm nicht weniger als achtundzwanzig.
Danach war die Suche über Monate hinaus ergebnislos geblieben. Bosketch hatte festgestellt, dass die anderen von demselben dumpfen Drang erfüllt waren wie er – irgendetwas zwang sie, nach Norden zu wandern.
Noch bevor der Winter einbrach, hatten sie die Alpen überquert und fanden weitere achtzehn Menschen, die sich ihnen anschlossen. Glaus Bosketch hatte sich inzwischen zum Anführer gemausert. Er war nicht gebildet, besaß aber ein gerütteltes Maß an gesunder Schläue. Wenn die Gruppe in Schwierigkeiten geriet, war es gewöhnlich Glaus, der als Erster einen Ausweg wusste. Er war stämmig, fast stiernackig gebaut und verfügte über erstaunliche Körperkräfte, die er rücksichtslos einsetzte, wenn es notwendig war.
Im Frühjahr erreichten sie die Ostsee und lasen im ehemaligen Dänemark weitere zwanzig Menschen auf. Ihr Gefühl der Zufriedenheit wuchs ständig. Bosketch bestimmte Unterführer – einmal Tero Kalasanti und zum Zweiten Ver Bix, einen hünenhaften jungen Mann, den die Gruppe am Alpennordrand aufgelesen hatte. Er war früher Höhlenforscher gewesen.
Zu Beginn des Sommers überquerten sie den Sund von Frederikshavn nach Göteborg mit Hilfe eines alten Bootes, das sie mit einiger Mühe wieder flottgemacht hatten, und zogen weiter nach Norden. Mit Hilfe eines alten Militärtransporters waren sie schnell ein beachtliches Stück vorwärts gekommen: bis nach Beitstad am äußersten Nordrand des Trondheim-Fjords.
Gestern war der Transporter ausgefallen. Seitdem ging es wieder zu Fuß weiter. Das Ziel lag in unmittelbarer Nähe, jeder spürte das.
Es waren noch einige Personen zu der Gruppe gestoßen. Sie waren einundzwanzig Männer, sechzehn Frauen und zehn Kinder unter fünfzehn Jahren.
Glaus Bosketch grinste behäbig vor sich hin. Den Winter über hatten Männer und Frauen nichts voneinander wissen wollen. Kaum hatte jedoch die warme Jahreszeit eingesetzt, war der uralte Drang über sie gekommen. Zuordnungsprobleme hatte es keine gegeben. Ende des nächsten Winters, rechnete Bosketch, wenn alles gut ging, würde die Gruppe dreiundsechzig Köpfe zählen.
Er drehte sich auf die Seite und wollte weiterschlafen. Aber die Geräusche aus dem Busch störten ihn. Also stemmte er sich in die Höhe und knurrte: »Treibt's nicht so toll da drinnen!«
Kolibris halb unterdrückter Schrei antwortete. Wenig später wurde es ruhig. In den Schlaf begleitete Glaus der wohltuende Gedanke, dass sie bald das Ziel erreichen würden.
Der Weg wurde bergig. Als zwei Stunden vor Mitternacht die Dunkelheit hereinbrach, waren die Gruppe nach Ver Bix' Ansicht noch knapp einen halben Tagesmarsch von Bangsund entfernt.
In den Ruinen von Namdalseid hatten die Männer ein altes Konservenlager aufgestöbert. Am Abend gab es ein Festessen. Glaus Bosketch registrierte, dass die Stimmung abermals gestiegen war. Die Quelle des ganz neuen Glücks lag nahe.
Am nächsten Morgen marschierten sie schneller als bisher. Noch vor Mittag erreichten sie Bangsund. Die Straße wich nach Osten vom Ufer des Fjords zurück und erklomm einen Bergrücken.
Am höchsten Punkt der Straße blieb Bosketch stehen. Zu seinen Füßen erstreckte sich ein Arm des Fjords, und da waren auch die Gebäudereste einer mittelgroßen Stadt – Namsos, wenn Ver Bix Recht hatte.
Dann erblickte Glaus die Senke, ein riesiges kreisförmiges Gebilde im Nordosten der Stadt, umgeben von einem Wall, der an einer Stelle durchbrochen
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