Silberband 098 - Die Glaswelt
Erstaunen musterte.
»Ohne dich, kleiner Kerl, wäre ich wahrscheinlich in der Ruine er stickt. Komm schon her, du scheinst wirklich ganz zahm zu sein …«
Agai ließ sich streicheln. Rhodan griff vorsichtig zu und hob das Tier auf seine Knie. Es schien nun endgültig alle Furcht vor ihm verloren zu haben und benahm sich wie ein gut erzogenes Haustier.
»Ich möchte wissen, ob du mich verstehst – fast könnte man es meinen. Du hast uns beide gerettet. Aber morgen müssen wir zurück, ich kann hier nicht bleiben.«
Der kleine Kerl auf seinem Schoß hielt den Kopf schief, und dann geschah etwas für Rhodan Unbegreifliches. Die rechte Pfote hob sich und deutete in nördliche Richtung, wo um riesige Glastrümmerhalden nackte Felsen standen und dunkle Öffnungen auf schützende Höhlen schließen ließen.
Rhodan holte tief Luft. »Du hast mich tatsächlich verstanden?«, fragte er fassungslos. Er wusste, dass es unmöglich war, und doch …
»Die Felsen dort? Die Höhlen?«
Auf gewisse Weise erwartete er, dass sein kleiner Retter mit dem Kopf nicken würde, aber stattdessen sprang er zu Boden und lief ein paar Meter in das Trümmerfeld hinein, auf die Felsen zu. Dann blieb er sitzen und wartete.
Rhodan seufzte und stand auf.
»Du wirst es besser wissen als ich, du hast schon immer hier gelebt – und du verstehst mich, wie immer das möglich sein mag. Gehen wir also …«
Einst mussten hier größere Gebäude gestanden haben, die zusammen mit der Kuppel eingestürzt waren. Die Grundmauern waren teilweise erhalten geblieben und zwangen die beiden einsamen Wanderer mehrmals zu zeitraubenden Umwegen.
Je näher sie den Felsen kamen, desto mehr war Rhodan überzeugt, sich im ehemaligen Zentrum der rätselhaften Zivilisation zu befinden. Hier mussten große Gebäudekomplexe gestanden haben, die alle zusammen mit der Kuppel, die sich über ihnen spannte, eingestürzt waren.
Auch das Frettchen hatte Schwierigkeiten, die riesige Halde zu überqueren. Mehrmals gab es zu verstehen, dass es getragen werden wollte. Rhodan nahm es dann auf den Arm. Die dicken Stiefelsohlen schützten ihn vor scharfen Glassplittern.
Die Felsen selbst waren nicht sehr hoch und erinnerten an künstlich bearbeitete Natursteine. Seitlich befanden sich in regelmäßigen Abständen die Höhleneingänge – in zu regelmäßigen Abständen, als dass sie zufällig entstanden sein konnten.
In zwei bis drei Stunden würde es dämmern. Zeit genug, um einen Unterschlupf für die Nacht zu finden.
Rhodan betrachtete die gläsernen Trümmerhaufen und die Felsen. Wenn er überhaupt auf dieser Welt Hinweise finden konnte, was einst geschehen war, dann an dieser Stelle. Er war überzeugt, vor einer gewaltigen subplanetaren Anlage zu stehen.
Später, als es zu dämmern anfing und Agai vor ihm im Gras kuschelte, sagte Rhodan: »Ich möchte die Nacht in einer der Höhlen verbringen, hier draußen wird es zu kühl. Kannst du mich führen?«
Agai führte ihn.
26.
D as Erinnerungsvermögen von Gethaar-Hay war lückenlos, aber der Androide hatte jedes Zeitgefühl verloren. Natürlich verriet ihm sein logisch funktionierender Verstand, dass die Katastrophe schon sehr lange zurücklag, aber was bedeutete schon ›sehr lange‹, wenn es genauso gut gestern wie vor zehntausend Sonnenumläufen geschehen sein konnte?
Seine von den Herren aktivierte Programmierung arbeitete einwandfrei.
Er war ein Jäger.
Hoffnungslos eingekeilt war er zwischen gewaltigen Trümmerstücken gefangen, die auf ihn herabgestürzt waren, als er sich unvorsichtig in eines der unterirdischen Labors vorgewagt hatte, als die Meister längst nicht mehr existierten. Doch für ihn war es bedeutungslos, ob es sie noch gab oder nicht. Er hatte seine Aufgabe, und er würde ihr nachgehen, bis man ihn deaktivierte.
Vergeblich hatte er versucht, sich nach dem Einsturz des Gewölbes zu befreien, aber seine Kräfte reichten nicht aus. Vier seiner acht Beine dienten als Arme, wenn er Wert darauf legte, aber selbst seine geschickten Hände halfen ihm nicht weiter. Die Glas- und Felsbrocken waren zu schwer und hatten sich ineinander verkeilt.
In der Decke, die nur zum Teil aufgerissen und eingestürzt war, durchzogen Spalten und Risse das Gestein. Das Licht, das durch sie in das Verlies fiel, verriet dem Androiden, ob es Tag oder Nacht war. Es blieb für ihn der einzige Anhaltspunkt für das Vergehen der Zeit.
So war das seit Jahrtausenden.
Bis heute.
Doch bevor der Zufall Gethaar-Hay aus
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