Silberband 099 - Treibgut der Sterne
gespenstische Umgebung zu vergessen. Denn Harzel-Kold war zärtlich und einfühlsam und trotzdem von einer Leidenschaft, die sie einem Vincraner nie zugetraut hätte.
In diesen Minuten hoffte sie, dass noch alles gut werden würde. Doch bald musste sie erkennen, dass seine Leidenschaft nur ein Strohfeuer gewesen war. Es war das einzige Mal, dass Harzel-Kold ihr seine Zuneigung bewies.
26.
Virna wollte sich nicht eingestehen, dass es ein Fehler gewesen war, Harzel nach Zwottertracht zu folgen. Sie versuchte, das Beste aus ihrer Situation zu machen, und redete sich ein, dass sich alles zum Guten wenden würde.
Die meiste Zeit über sperrte Harzel-Kold sich in seinem Museum ein, und wenn er für kurze Zeit herauskam, um sich mit Proviant zu versorgen oder Blinizzer nach Kunstangeboten zu fragen, dann war er nur noch schwermütiger.
Eine Woche nach dem Vorfall in der musealen Halle ließ Harzel sich endlich überreden, das Frühstück mit ihr auf der Dachterrasse seiner Burg einzunehmen. Blinizzer servierte gedörrtes Kakteenfleisch zu Blütentee und Molchlaich. Es schmeckte Virna vorzüglich. Harzel-Kold saß nur brütend da und rührte nichts an.
»Lass uns heute hinausfahren«, brach Virna schließlich das Schweigen. »Blinizzer ist sicher, dass kein größerer Sturm zu erwarten ist.«
»Warum fährst du nicht mit Blinizzer?«, machte er seinen Gegenvorschlag. »Der Zwotter kennt die Gegend wie kein anderer und ist mit dem Geländewagen ein exzellenter Fahrer. Erinnere ihn nur daran, dass er für dich eine Atemmaske mitnimmt …«
»Ich will nicht mit Blinizzer fahren, sondern mit dir«, unterbrach sie Harzels Redeschwall. »Ich bin seit Tagen eingesperrt, habe dich kaum zu Gesicht bekommen und konnte kein Wort mit dir wechseln. Warum versteckst du dich?«
»Ich verstecke mich nicht. Vielmehr dachte ich, dein Platz würde an meiner Seite sein. Ich habe so sehr gehofft, dass du meine Interessen teilen würdest. Die Panzertür stand immer offen.«
Sie schüttelte sich bei dem Gedanken an die kalte Gruft. »Ich gehe da nicht mehr hinein«, sagte sie entschieden. »Du kannst von mir nicht verlangen, dass ich dieses Mausoleum eines untergegangenen Volkes betrete. Ich fühle mich dort von den Geistern der Vergangenheit bedroht.«
Er blickte hoffnungsvoll auf sie. »Demnach spürst du es, du kannst die Sendungen empfangen. Es ist noch nichts verloren, ich werde dich auf den rechten Weg bringen.« Er beugte sich über den Schiefertisch und ergriff ihre kalten Hände. »Ich habe mich dumm benommen, Virna, verzeih mir. Aber du musst mich verstehen, die Psychode sind mein Lebensinhalt. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihr Geheimnis zu ergründen. Und ich war enttäuscht, als du dich von mir abwandtest.«
»Das siehst du falsch, Harzel …«
»Ich weiß, ich habe mich getäuscht. Wir können noch einmal von vorne beginnen.«
»Dann fährst du mit mir hinaus?«
»Später.« Er erhob sich geschäftig. »Es war ein Fehler, dich sofort der geballten Strahlung aller Psychode auszusetzen. Du brauchst eine Anlaufzeit, um dich daran zu gewöhnen. Ich werde dir dabei helfen, indem ich dich Stück für Stück mit den Kunstwerken vertraut mache. Du brauchst nicht mehr in mein Heiligtum zu kommen, solange du im Umgang mit den Kunstwerken nicht vertraut bist. Ich weiß, was zu tun ist.«
Mit diesen Worten verschwand er. Virna blieb sitzen und starrte gedankenverloren vor sich hin in dem Bewusstsein, dass Harzel und sie aneinander vorbeigeredet hatten.
Ungefähr eine halbe Stunde später kam Blinizzer und forderte sie singend auf, ihm in ihren Schlafsaal zu folgen. Als sie den Raum betrat, sah sie am Kopfende ihres Hünenbetts eine große Plastik, die ein kauerndes Wesen mit zwei Köpfen darstellte. Die Darstellung war nicht naturalistisch, die Extremitäten verschmolzen mit dem Körper und bildeten ein schwungvolles Ganzes, aus dem nur die kugeligen Köpfe auf einem langen, teleskopartigen Hals herausragten.
»Dies ist der gangbarste Weg«, erklärte Harzel, der auf die Plastik gestützt dastand. »Du sollst zuerst mit einem einzigen Psychod zusammenleben, und wenn du deine Scheu verloren hast, werde ich dir ein zweites zur Seite stellen. Das setzen wir fort, bis du stark genug bist, mit mir das letzte Stück des Weges zur Illumination zu gehen.«
»Schaff diesen hässlichen Klumpen aus dem Raum!«, verlangte Virna hysterisch. »Wenn ich neben diesem Ding schlafen muss, werde ich wahnsinnig. Bring es bitte weg,
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