Silberband 105 - Orkan im Hyperraum
Bulls holografisches Abbild blickte sie misstrauisch an. »So sehen Sie auch gerade aus«, stellte er fest. »Als wären Sie einem Gespenst begegnet.«
Die Mutantin unterbrach die Verbindung. Sie hoffte, dass Bull – sofern er tatsächlich die richtige Fährte erwischte – die Beherrschung behielt und schwieg. Die Lage war ohnehin schon kritisch genug. Die SOL-Geborenen waren nervös, und Irmina fürchtete spontane Reaktionen, sobald sie erfuhren, dass eines ihrer Kinder parapsychisch begabt war und das Schiff auseinandernehmen konnte. Sie würden kaum darauf Rücksicht nehmen, dass Sternfeuer unbewusst handelte.
Irmina Kotschistowa verdankte ihren eigenen Fähigkeiten eine gewisse Langlebigkeit, und sie hatte – gerade in Hinsicht auf Mutanten – genug erlebt, um die Gefahren einigermaßen treffend einzuschätzen. Im Augenblick bestand das größte Risiko darin, dass Sternfeuer mit der Wahrheit konfrontiert wurde. Das Mädchen war noch längst nicht reif dafür, solche Erkenntnisse zu verkraften.
Außerdem gehörte Sternfeuer allen Eigenheiten zum Trotz zu den SOL-Geborenen. Sie respektierte das Hantelraumschiff und würde niemals auf den Gedanken kommen, etwas an Bord zu zerstören. Sobald sie erfuhr, was sie gegen ihren Willen schon verursacht hatte, konnte sie leicht die Nerven verlieren. Was Sternfeuers Unterbewusstsein dann unternahm, ließ sich nicht vorhersagen. Es war denkbar, dass es in einer Reaktion von Scham versuchte, die Spuren seines schrecklichen Wirkens zu tilgen, und dabei das Schiff zum Untergang verurteilte.
Das war nur eine Möglichkeit. Irmina Kotschistowa hoffte, in der Hinsicht keine praktischen Erfahrungen sammeln zu müssen.
»Sie sollten das Kind wegbringen!«, sagte eine Translatorstimme hinter ihr.
Die Mutantin drehte sich überrascht um. Verblüfft starrte sie Douc Langur an.
»Welches Mädchen meinen Sie?«
»Ich sprach nur von einem Kind«, korrigierte der Forscher, der aus einem der Seitenkorridore gekommen sein musste. »Ich habe versucht, mit Sternfeuer über die Angelegenheit zu reden, aber ich fürchte, sie hat keine Ahnung, was überhaupt geschieht.«
Irmina Kotschistowa nickte zögernd. Sie wusste nicht, wie sie auf die Eröffnungen des Forschers reagieren sollte. Trotzdem war sie froh, überhaupt jemanden zu haben, mit dem sie über Sternfeuer reden konnte. Douc Langur würde keine falschen Reaktionen zeigen.
»Haben Sie schon mit anderen Personen darüber gesprochen?«
»Nein«, erwiderte der Forscher. Er bewegte seine federförmigen Sinnesorgane. Es schien, als wäre er unruhig. »Vorhin hat die Aktivität kurz nachgelassen«, fuhr er fort. »Beinahe so, als übten Sie einen beruhigenden Einfluss auf das Mädchen aus.«
Die Mutantin dachte an den Roboter und schüttelte sich unwillkürlich.
»Das Kind wird Ihnen nichts tun«, sagte Douc Langur, der das Verhalten der Terranerin nicht richtig auslegte.
»Davor fürchte ich mich auch nicht. Aber ich fürchte, dass die Lösung nicht so einfach sein kann. Sternfeuer wird sich bestenfalls für kurze Zeit beruhigen. Wir müssen das Problem an der Wurzel fassen. Ich weiß nur noch nicht recht, wo diese Wurzel zu finden ist.«
»Auf der Erde«, erwiderte der Forscher.
»Sie möchte gern Terra sehen.« Die Mutantin nickte nachdenklich. »Ich bin nie ganz dahintergekommen, was diese Sehnsucht zu bedeuten hat. Sternfeuer erzählte mir, dass ihr Großvater das Schiff verlassen hat und auf Terra geblieben ist. Man sollte meinen, dass ein Kind im Lauf von ein, zwei Jahren über eine solche Trennung hinwegkommt.«
»Äußerlich schon«, stimmte der Forscher zu. »Aber erstens ist dieses Kind ein latenter Telekinet, und zwar einer von besonderem Kaliber, und zweitens habe ich den Eindruck, die Menschen hätten besser daran getan, sich mit Sternfeuers Vorfahren genauer zu beschäftigen.«
Irmina Kotschistowa schaute Langur verwundert an. Oft wirkte er beinahe schüchtern und gehemmt, aber sobald er sich mit einer Angelegenheit eingehender befasste, entwickelte er ein atemberaubendes Tempo. Und seine Ausführungen waren von bestechender Logik.
Es gab immer wieder Menschen mit latenten Psi-Fähigkeiten. Das kam gar nicht selten vor. Meistens merkte niemand etwas davon. Und wenn einer dieser Mutanten wirklich erkannt wurde, dann stellte sich in den meisten Fällen heraus, dass es aus den verschiedensten Gründen besser war, die verborgenen Kräfte ruhen zu lassen. Nicht alle Psi-Phänomene hatten ausschließlich
Weitere Kostenlose Bücher