Silberband 105 - Orkan im Hyperraum
Gestalten hinter der nächsten Biegung übersah. Erst als ich an ihnen vorbeigelaufen war, blitzte die Erkenntnis ihrer Anwesenheit in meinem Gehirn auf. Ich wollte mich umdrehen, aber da traf ein harter Gegenstand mit erheblicher Wucht mein Scheitelbein. Nun ist ein Marsianer der a-Klasse ein enorm widerstandsfähiger Mensch – und ich bin ein Marsianer der a-Klasse –, aber als ich noch dabei war, den Schlag zu verdauen, traf der zweite genau auf die gleiche Stelle.
Während die Welt für mich in einem Ballen aus schwarzer Watte versank, glaubte ich noch den wütenden Schrei des fett gepolsterten Grobians zu hören, vor dem ich vergeblich davongelaufen war. Dann war absolut nichts mehr …
… bis sich etwas Helles in meinem Bewusstsein ausbreitete, das ich wie eine Schmerzexplosion empfand. Wahrscheinlich krümmte ich mich vor Schmerzen.
Ich öffnete meine Sinne so weit, wie es mir eben möglich war. Bevor ich mich wieder bewegte, musste ich sicher sein, dass mich niemand beobachtete. Ich hörte nichts außer der überall auf der SOL vorhandenen maschinellen Geräuschkulisse, die allerdings je nach Schiffssektion stark variierte.
Ich blinzelte unter den Lidern hindurch und rollte mich langsam auf die andere Seite. Vorübergehend musste ich gegen eine heftige Übelkeit ankämpfen.
Als ich mich aufrichtete, taumelte ich gegen eine Seitenwand. Ich lehnte mich an und wartete, bis ich wieder klar sehen konnte.
Der Korridor war nach beiden Seiten hin leer. Ich tastete meinen Hinterkopf ab und fühlte eine prächtige Schwellung. Ansonsten war ich unverletzt und besaß auch noch meine vollständige Ausrüstung – einschließlich des Paralysators, der zu meiner Bordausrüstung gehörte.
Nur mein sogenannter Partner, in Wahrheit mein Sklavenhalter, war verschwunden.
Die Leute, die mich niedergeschlagen und Dalaimoc Rorvic verschleppt hatten, konnten nur Besatzungsmitglieder der SOL sein. Natürlich hatten sie gewusst, dass SENECA alles beobachten und sie innerhalb weniger Minuten ergreifen lassen würde, falls sie dem Bordgehirn nicht irgendwie die Sicht versperrten.
Das konnten aber nur hervorragende Spezialisten, die über eine ebenso hervorragende Ausrüstung verfügten. Normalerweise wurde beides ausschließlich von der Schiffsführung kontrolliert. Aber schon lange herrschten keine normalen Zeiten mehr, und wenn die mehr oder weniger straff organisierten SOL-Geborenen, die inzwischen nahezu neunzig Prozent der Gesamtbesatzung stellten, etwas vor der Schiffsführung verheimlichen wollten, dann gelang ihnen das in den meisten Fällen auch.
Ich kannte alle Tricks, auch wenn ich keineswegs alle persönlich hätte ausführen können. Innerhalb weniger Minuten entdeckte ich die winzigen Projektoren, die SENECAs Sensoren mithilfe hyperinpotronischer Überlagerungskegel Falschinformationen vorgaukelten. Wer die Justierung dieser Projektoren kannte, der vermochte sich innerhalb des Korridors unbemerkt zu bewegen. Zweifellos traf das auf die Attentäter zu.
Ich besaß diesen Vorteil nicht, aber ich beabsichtigte auch nicht, SENECA um Hilfe zu bitten. Folglich musste ich mir überlegen, welche Art des Vorgehens das geringste Risiko barg, entdeckt zu werden – und dafür musste ich mich dann entscheiden. Das N'adun M'clipehn, wörtlich ›Verdunkelung im Licht‹, meine bei den Kosmischen Meisterdieben erworbene Fähigkeit, mich aus der Wahrnehmung auszuklammern, funktionierte nur gegenüber Lebewesen. SENECAs Neugierde konnte ich mich damit nicht entziehen.
Nach einiger Zeit hatte ich bis auf einen alle elf Sensoren entdeckt, die von den Überlagerungskegeln mattgesetzt worden waren. Diesem einen konnte ich also nicht gezielt ausweichen. Das Risiko blieb dennoch vertretbar. Für SENECA würde die kurzzeitige Verschattung einer bestimmten Wahrnehmung genügen, um ihn entsprechend reagieren zu lassen.
Rund zehn Minuten später hatte ich die kritische Strecke überwunden. Vor mir lag die Sektion ›Industrielle Fertigung‹. Hier wimmelte es von Robotern und Kontrolleinrichtungen, sodass die Entführer nicht einmal die Hälfte von Rorvic hätten verbergen können.
Ich kehrte um und mühte mich zum zweiten Mal durch die kritische Strecke. Als ich das geschafft hatte, wusste ich, dass die Attentäter mir sogar einen Gefallen getan hatten. Sie hatten den Überfall ausgerechnet in einer Sektion verübt, die sie nur in eine einzige Richtung wieder verlassen konnten, da auf einer Seite ihre Entdeckung drohte und
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