Silberband 114 - Die Sporenschiffe
wie lauten sie?«
Soomasen, der im Schneidersitz neben ihr gehockt hatte, robbte auf seinen muskulösen Armen bis zum Rand der Plattform vor. Erst jetzt bemerkte Maina, dass seine Beine verkrüppelt waren. Sie sah zwar kräftige Muskelstränge, und da er die Beine beugen und strecken konnte, besaßen sie auch einige Gelenkigkeit, doch er gebrauchte sie nicht zum Gehen.
»Wer nicht gehen kann, der schwebt«, erklärte Soomasen, als er Mainas Blick merkte.
»Entschuldige«, sagte sie schuldbewusst.
Der junge Mann ließ wieder sein unbekümmertes Lachen hören. »Wir Ikarier waren nie Fußgänger. Vor dem großen Sprung haben wir uns kraft unseres Geistes fortbewegt. Aber ES wollte es anders und schickte uns in Wellen die Schwerelosigkeit. Seitdem fliegen wir eben.«
Er deutete über die Ebene hinaus. Zwei Ikarier schwebten in beachtlicher Höhe. Maina verspürte ein unangenehmes Ziehen im Körper, weil die normale Schwerkraft vollends zurückkehrte.
»Unter den veränderten Schwerkraftbedingungen werden die beiden abstürzen«, sagte sie erschrocken.
»Keine Angst«, beruhigte Soomasen sie. »Die Männer sind hoch genug, um alle Aufwinde nutzen zu können. Sie werden die Sonne erreichen.«
»Aber dann werden sie verbrennen.«
Der Ikarier gab keine Antwort. Fasziniert beobachtete er die beiden Segler, die noch höher stiegen. Das grelle Sonnenlicht machte ihm nichts aus. Maina hingegen musste die Hand schützend über ihre Augen halten.
»Sie heißen Arlon und Cervai und kennen sich noch gar nicht lange«, erklärte Soomasen. »Eine tiefe Verbundenheit ist zum Bewusstseinssegeln gar nicht nötig. Auch Fremde haben sich schon gefunden. Wer von den beiden, glaubst du, wird gestärkt aus dem Wettflug hervorgehen?«
»Arlon ist um einige Körperlängen voran, ich tippe auf ihn.«
Maina hatte es kaum gesagt, als Cervai auf einmal schnell höher stieg und Arlon überholte. Letzterer schwang ungestüm mit seinen Flügeln, wie um den anderen noch einzuholen. Cervai schien einen Aufwind im richtigen Moment genützt zu haben und flog auf die schon nahe Kunstsonne zu.
Mainas Augen tränten, trotzdem zwang sie sich, den Blick nicht abzuwenden. Cervai war nur mehr ein winziger Punkt, bei Arlon hingegen konnte sie deutlich erkennen, dass er wie verrückt mit den Flügeln ruderte.
»Warum unternimmt Arlon so verzweifelte Anstrengungen, obwohl er einsehen muss, dass er Cervai nicht mehr einholen kann?«
»Die Kunst des Bewusstseinssegelns ist es nicht, die Sonne zu erreichen, sondern sich ihrer Anziehung zu widersetzen«, erläuterte Soomasen. »Arlon hat sich erfolgreicher dagegen gewehrt.«
Maina zuckte zusammen, als sie sah, wie Cervai im Glutball der Kunstsonne verschwand. Arlon war inzwischen tiefer gesunken; ruhig und majestätisch, ohne einen einzigen Flügelschlag, schwebte er zur Felsnadel zurück.
»Arlon hat Cervai in sich aufgenommen.«
Erst jetzt verstand Maina die Bedeutung des Bewusstseinssegelns in ihrer ganzen Tragweite. Die Ikarier näherten sich stets paarweise der Sonne. Es ging darum, sich ihrer Anziehungskraft zu widersetzen und den anderen ins Verderben zu treiben, um dann, wenn er in der künstlichen Lichtquelle verglühte, sein Bewusstseinspotenzial aufnehmen zu können. Es war nicht anders als bei den Oskunern, nur die Methode unterschied sich.
»Wie ist es mit uns?«, fragte Soomasen.
»Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen«, sagte Maina.
»Dann geh!« Der Ikarier wies in die Tiefe.
»Ich will dir erklären ...«
»Verlasse diesen Horst.«
Maina fröstelte, als sie sich der Höhe bewusst wurde, in der sie sich befand. Der Abstieg über die steile Felswand war ein beschwerliches Unterfangen, und die Möglichkeit, in den Tod zu stürzen, war größer als die Chance, die Ebene lebend zu erreichen. Aber sie wollte lieber dieses Risiko eingehen. Die Alternative, die Soomasen ihr bot, war gegen ihre Überzeugung.
»Soomasen«, versuchte sie noch einmal, den Ikarier umzustimmen. »Jeder bemüht sich auf seine Weise, im Sinn von ES zu handeln. Deshalb sollte jeder die Haltung des anderen achten.«
»Du hast meine Hoffnung genommen, also nimm auch meine Flügel«, erwiderte der Ikarier unerbittlich. »Verlasse diesen Horst.«
Es war unmöglich, ihn zur Einsicht zu bringen. Maina machte sich an den gefährlichen Abstieg. Irgendwie würde sie es schaffen, und wenn sie Tage brauchte.
3.
BASIS
»Folge dem Kristall, Pana!«, verlangte Sheila Winter erregt. Sie hielt den in das
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