Silberband 116 - Der Auserwählte
Während einer Verschnaufpause sah die Kommandantin ihn auf einen der großen Bäume klettern. Er war schnell und hatte bald den schwankenden Wipfel erreicht. Nyman provozierte das Schwanken geradezu. Bald pendelte der Baumwipfels so stark, dass Jak sich auf einen Ast des Nachbarbaums schwingen konnte. Den Wipfel, in dessen Zweigen er eben noch gesessen hatte, hielt er mühsam fest. Mit einem dünnen Strick, den er sich weiß der Himmel woher beschafft hatte, band er die Spitze am Stamm des Nebenbaums fest. Der Rest des Strickes fiel bis zum Boden herab.
»Was, zum Teufel, hast du vor?«, fragte Lyn, als der Wissenschaftler wieder am Boden war.
Nyman zeigte auf die Stämme, die schon aufgeschichtet lagen. »Wir brauchen Verstärkung für die Innenseite der Palisaden. Der Stamm dort liefert uns mindestens die Hälfte dafür, wenn wir ihn richtig aufteilen. Aber lässt er sich so leicht aus dem Boden hebeln wie die kleinen Stämmchen? Nein. Also müssen wir nachhelfen. Wenn wir seinen Wipfel bis zum Boden herabziehen, wird auf die Wurzeln eine starke Hebelwirkung ausgeübt. Sie laufen nur sehr flach und auch nicht tief im Boden.«
»Was ist das für ein Seil?«
»Seil?« Nyman lachte. »Das ist Bast! Hier gibt es Bäume, deren Rinde sich fadenweise leicht abziehen lässt. Dort drüben steht einer. Das Zeug ist klebrig, aber ungemein widerstandsfähig.«
Er rief Hormel herbei. Gemeinsam zogen die beiden Männer den Wipfel des festgebundenen Baumes bis zum Boden herab. Das Holz ächzte und knarrte, aber es gab nicht nach. Jaks Hypothese erwies sich jedoch als richtig, um die Wurzeln des Baumes herum hob sich der Boden bereits merklich an.
Der Wind hatte sich gelegt, der Brandgeruch wurde intensiver. Das Feuer hatte sich inzwischen mehrere hundert Meter weit in den Wald hineingefressen, aber es gab noch genug nur halb verkohlte Überreste. Falls der Wind jetzt umschlug, würden die Flammen zu ihnen zurückkehren.
»Passt auf!«, rief Lyn. »Achtet auf den Wind.«
Sie schickte sich an, ihre Atronitalstange unter das Wurzelwerk eines Bäumchens zu rammen, da sah sie Hormel. Er stand rittlings über dem Baumwipfel, den er zusammen mit Nyman soeben festgezurrt hatte.
Ein merkwürdiger Laut drang aus dem brennenden Wald heran. Es war ein knurrendes Geräusch.
»Vorsicht! Eine Katze!«, schrie Nyman.
Lyn Degas fuhr herum. Sie riss die Stange aus dem Boden und hielt sie abwehrend vor sich. Hinter ihr gab es einen lauten Knall. Hormel schrie auf. Lyn sah gerade noch den Baststrick, der den zu Boden gebogenen Wipfel festgehalten hatte, zur Seite schnellen. Daneben stand Nyman mit einem primitiven Schneidwerkzeug in der Hand.
Der Baum peitschte in die Höhe. Dan wedelte verzweifelt mit den Armen, fand aber keinen Halt. Er wurde wie von einem Katapult davongeschleudert, sein gellender Schrei verklang in dem Qualm.
Lyn ließ die Stange fallen. In unbeherrschter Wut sprang sie auf Nyman zu, und in ihrem Fausthieb lag ihr aufgestauter Zorn. Sie traf Nyman seitlich am Kinn. Der Hyperphysiker ging in die Knie, dann stieß er ein Seufzen aus und schlug der Länge nach zu Boden.
Die Kommandantin fuhr herum.
»Zelda, nimm die Stange! Wir müssen Hormel finden!«
Lyn rannte davon, ohne darauf zu achten, ob die Pilotin ihrer Aufforderung folgte. Der Boden war heiß. Qualm stieg überall auf und reizte immer stärker zum Husten. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und rief Hormels Namen. Aber das gab sie nach dem ersten schweren Hustenanfall auf.
Sie hastete an rauchenden Baumstrünken vorbei und über den Körper eines schildkrötenähnlichen Tieres hinweg. Urplötzlich fiel ihr auf, dass sie zwar Zelda geraten hatte, die Stange mitzunehmen, das selbst aber nicht getan hatte.
Aus dem Dunst erklangen rhythmische Geräusche. Das musste Zelda sein. Lyn rief nach ihr, aber ihre Stimme war schon nicht mehr so kräftig wie zuvor.
Und dann war da das schnarrende, knurrende Geräusch - dasselbe, das Jak Nyman die Gelegenheit gegeben hatte, fast unbemerkt den Baststrick zu kappen. Es klang lauter, näher, und obwohl Lyn bisher keines der Tiere zu Gesicht bekommen hatte, zweifelte sie nicht daran, dass es von einer sechsfüßigen Katze stammte.
Der Boden stieg an. Lyn spürte, dass die Kräfte allmählich nachließen. Sie stürzte über eine Wurzel, raffte sich auf und hastete weiter. Und plötzlich stand sie an der Abbruchkante einer Schlucht, die tief in den
Boden einschnitt. Das Hindernis war so überraschend da, dass sie sich an
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