Silberband 116 - Der Auserwählte
einem niedrig hängenden Ast festklammem musste, sonst wäre sie abgestürzt.
Das Knurren klang irgendwo aus der Höhe heran. Lyn manövrierte sich vorsichtig durch das Gebüsch am Rand der Schlucht und erreichte eine Stelle, von der sie freien Ausblick hatte. Der Einschnitt war über zehn Meter breit, die jenseitige Felswand stieg steil in die Höhe. Der Boden der Schlucht verlor sich im Dunkel. Aus der Tiefe hallte das Rauschen von Wasser herauf.
Die sechsbeinige Katze kauerte etwa fünf Meter höher auf einem Felsvorsprung auf der anderen Seite.
Die Kommandantin schauderte bei ihrem Anblick. Das Tier maß mehr als drei Meter. Die geschuppte Haut schimmerte unter einem schleimigen Überzug. Mit wütenden Schlägen peitschte der Schwanz des Tieres gegen den Fels. Der kleine, platte Schädel war auf dem kräftigen Hals weit nach vom gereckt. Aus dem aufgestülpten, ringsum mit Sensorfäden besetzten Maul drang das hungrige Schnarren, das Lyn schon am Waldrand gehört hatte.
Die Aufmerksamkeit der Bestie galt allerdings nicht ihr, sondern einem Punkt an der jenseitigen Felswand. Lyn hätte vor Schreck fast aufgeschrien. In einer Felsspalte hing Hormel Dan. Die Spalte verlief sehr schräg, sodass er sich festklammem musste, um nicht abzustürzen. Dass Hormel überhaupt bei Bewusstsein war, grenzte an ein Wunder. Immerhin war die Spalte voll mir vermoderndem Laub und entsprechend weich im Untergrund.
Die Katzenechse sah wahrscheinlich nur die Beine des Mannes aus dem Spalt hängen. Aber das war schon genug, um ihre Gier zu wecken. Zum Glück gab es von ihrem Standort aus keinen gangbaren Weg, der zu ihrem Opfer führte.
Lyn richtete sich auf.
»Bist du verletzt, Hormel?«, rief sie.
»Ein paar Schrammen, weiter nichts«, hallte seine Stimme über die Schlucht. »Verdammt viel Dusel gehabt.«
Die Katze knurrte wütend und scharrte mit den Pranken. Aus tückisch gelben Augen musterte sie Lyn, aber obwohl sie sich in überhöhter Position befand, schreckte sie vor dem Sprung über die Schlucht offenbar zurück. Das machte der Kommandantin Mut. Sie griff nach einigen Steinen und schleuderte sie auf die Bestie. Einer der kantigen Brocken traf den platt gedrückten Schädel. Fauchend wirbelte das Tier herum und sprang auf einen höher gelegenen Vörspmng, um den Wurfgeschossen zu entgehen.
Da erst sah Lyn, was sie angerichtet hatte. Von dem höheren Vorsprung führte eine Felsleiste zu dem Spalt und Hormel Dan hinüber.
Mit dem sicheren Instinkt des Jägers entdeckte die Katze diesen Pfad ebenfalls. Das Schnarren verstummte augenblicklich. Den hässlichen Körper dicht am Boden, schlich die Bestie auf ihr Opfer zu.
Es krachte im Gebüsch. Nyman tauchte aus dem Unterholz auf, und Zelda folgte ihm dichtauf.
»Bist du nun zufrieden?« Lyn zeigte auf die andere Seite der Schlucht.
Nyman machte eine abwehrende Handbewegung, ohne die Kommandantin dabei anzusehen. Offenbar versuchte er, die Lage einzuschätzen. Lyn registrierte mit Befriedigung, dass sein Kinn einen blutunterlaufenen Fleck aufwies.
»Reden können wir später«, sagte der Physiker hastig.
Er eilte nach links durch das Gestrüpp davon. Sekunden später warf er Steine und Äste in Richtung der Katzenechse, und er schrie sich beinahe die Seele aus dem Leib. Das Tier reagierte verwirrt. Als es von einem Holzstück am Rücken getroffen wurde, wollte es ausweichen. Aber das Felsband war nicht breit genug. Die einzige Deckung lag etliche Meter weiter, in der Spalte, in der sich der Erste Offizier festklammerte.
»Hormel, pass auf!«, brüllte Lyn hinüber.
Dan zog die Beine an und versuchte, sich in der Spalte höher zu ziehen. Halb vermodertes Laub wirbelte in die Schlucht hinab.
»Sie kommt von oben!«, rief Lyn. »Zieh dich zurück, so weit du kannst!«
Hormel gehorchte. Inzwischen warf auch Zelda Gren alles Erreichbare nach der Katzenechse. Das verwirrte Tier fauchte angriffslustig, und dann schnellte es auf den Spalt zu.
Hormel Dan befand sich etwa drei Meter unter ihr. Der schuppige Körper ruckte nach vom. Der Schwanz, den die Bestie beim Sprung zur Wahrung des Gleichgewichts brauchte, hörte auf zu peitschen.
Ein knirschendes Geräusch erfüllte die Schlucht. Im nächsten Augenblick war der obere Teil der Felswand nicht mehr da.
»Es sind bereits neun Barys-Körper verschwunden.« Payne Hamillers Stimme klang, als wolle er Geoffry Waringer dafür verantwortlich machen. »Natürlich haben wir bislang nicht genügend Daten; aber es sieht so
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