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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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groß.“ Er wusste, dass Chinook nur angeben wollte, aber er konnte es nicht einfach so durchgehen lassen.
    „Eine starke Fledermaus kann das mit Leichtigkeit.“
    „Unmöglich.“
    „Du weißt auch nicht alles, Knirps. Willst du behaupten, dass ich ein Lügner bin?“
    Schatten spürte, wie sich vor Empörung sein Fell sträubte. Er wusste, dass er herausgefordert wurde, und er wollte am liebsten sagen: Ja, ja, du bist ein Lügner. Aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken wie die trockenen Schalen eines Käfers.
    Da erklangen im Wald die ersten durchdringenden Töne von singenden Vögeln, und alle erstarrten.
    „Da ist der Chor zur Morgendämmerung“, sagte Penumbra überflüssigerweise. „Ich denke, wir sollten uns auf den Heimweg machen.“
    Chinook und die anderen Jungtiere raschelten zustimmend mit den Flügeln und wollten los.
    „Ja, fliegt schon vor“, sagte Schatten mit einem gelangweilten Gähnen. „Ich will nur einen kurzen Blick auf die Sonne werfen.“
    Ihre Reaktion war ihm so angenehm, dass er die Nase kräuseln musste, um sein Grinsen zu verbergen. Wortlos starrten sie ihn an und runzelten ärgerlich das Fell zwischen den Augen.
    „Was redest du da?“, fragte Chinook spöttisch.
    „Du kannst die Sonne nicht anschauen“, sagte Yara und schüttelte den Kopf.
    „Nun, ich denke, ich werde es einfach mal versuchen.“
    Es war das Erste und Wichtigste, was allen Jungtieren beigebracht wurde. Es gab auch andere Regeln – viel zu viele nach Schattens Meinung –, aber diese wurde ihnen mit größtem Nachdruck eingehämmert. Man darf niemals die Sonne anschauen. So einfach und endgültig war das.
    „Sie wird dich blind machen“, sagte Jarod. „Wird dir die Augen im Kopf verbrennen.“
    „Wird dich anschließend zu Staub verkohlen“, ergänzte Osric nicht ohne Schadenfreude.
    In königlicher Unbekümmertheit zuckte Schatten die Achseln.
    „Und da sind auch noch die Eulen“, sagte Penumbra gereizt. Sie schaute sich um. „Wir sollten verschwinden.“
    In der Ferne konnte Schatten die Mütter hören, die ihre Kinder zurück zum Baumhort riefen. Und dann auch die unverkennbare Stimme seiner eigenen Mutter Ariel: „Schatten … Schatten …“ Im Herzen spürte er ein plötzliches Zerren. Sie würde sich Sorgen machen. Und er hatte schon genug Ärger wegen seines Verhaltens vor ein paar Nächten, als er auf der Erde gelandet war (und so gegen eine andere Regel verstoßen hatte), um ein funkelndes Spinnennetz aus der Nähe zu betrachten. Nur ein paar Sekunden lang, aber man hatte ihn erwischt und vor allen anderen Kleinen heftig ausgeschimpft.
    „Nur einen kurzen Blick“, sagte er zu den anderen und schaute zum Himmel empor, der langsam heller wurde. „Dauert nicht lange.“
    „Du bist komisch“, sagte Osric und schaute ihn voll unfreiwilliger Bewunderung an – mit genau dem Blick, auf den Schatten gehofft hatte.
    „Er wird die Sonne nicht anschauen“, sagte Chinook gereizt. „Er sagt das nur so.“
    „Ich werde dir davon berichten, wenn ich zum Baumhort zurückkomme“, sagte Schatten bestimmt. „Es sei denn, du kommst mit, Chinook.“
    Es war ein köstlicher Augenblick des Schweigens, als Jarod, Penumbra, Yara und Osric ihren Helden erwartungsvoll anblickten. Chinook war herausgefordert worden und er wusste es. Er bohrte eine seiner Krallen in die Rinde.
    „Na gut, ist egal“, sagte Schatten fröhlich und machte Anstalten loszufliegen.
    „Warte! Ich komme mit“, sagte Chinook und dann noch heftiger: „Ich komme mit dir.“
    „Ich weiß, das ist nur ein verrücktes Spiel“, sagte Chinook, während sie durch den Wald flogen und sich weiter vom Baumhort entfernten. „Wir werden ja sehen, wer als Erster einen Rückzieher macht.“
    Schatten konnte nur unter Anstrengung mithalten, und das ärgerte ihn. Immer musste er stärker mit den Flügeln schlagen, sich mehr anstrengen, um nicht zurückzufallen. Er hasste es, Chinooks mühelose Flügelschläge mit anzusehen, aber er schaute genau hin und versuchte es ihm nachzumachen.
    „Wir fliegen zur Hügelkuppe“, sagte er und hoffte, dass man nicht hören konnte, wie atemlos er war. „Dort können wir die Sonne früher sehen. Was meinst du?“
    Chinook knurrte nur geistesabwesend. Dann fragte er: „Was ist mit den Eulen?“
    Klang da ein bisschen Angst mit in seiner Stimme? Schatten fühlte sich ermutigt.
    „Halt dich nur nahe bei den Bäumen, dann werden sie uns gar nicht sehen.“
    Noch ein Knurren.
    Schatten konnte

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