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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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verantwortlich, weil ich als Einziger zu merken schien, dass er in Schwierigkeiten war. Aber ich konnte ja niemanden warnen.« James atmete tief ein. »An jenem Nachmittag folgte ich ihm nach Hause. An anderen Tagen hatte ich bereits gesehen, wie er aus seinem Körper heraustrat, wenn er seinem Blut Gifte zufügte. Sein Geist schien für eine Stunde oder zwei zu schlafen, und für gewöhnlich begann er genau dann, leer zu klingen. Doch an diesem Tag schloss er sich in seinem Zimmer ein, schluckte Pillen, schnupfte Pulver und atmete sogar Dämpfe aus einem Beutel ein. An diesem Tag verließ sein Geist den Körper und kehrte nicht zurück.«
    Eine kalte Hand griff nach meinem Herzen.
    »Ich beobachtete ihn sieben Stunden lang«, fuhr James fort.
    Die Wege um die Telefonzelle herum leerten sich. Die Schüler und Angestellten machten sich auf den Weg zu ihren Parkplätzen. Die Zeit wurde knapp, bevor ich mit Mr. Brown würde nach Hause fahren müssen.
    »Dann fühlte ich, wie etwas Falsches von seinem Körper Besitz ergreifen wollte, etwas Böses«, fuhr James fort. »Ich versuchte, ihn aufzuwecken, doch sein Geist kam nicht zurück, weshalb ich in ihn hineinglitt, um das Böse zu vertreiben. Unglücklicherweise hatte es keine Angst vor mir. Ich konnte es nicht verscheuchen, ich konnte nicht einmal meine Augen öffnen oder mich bewegen, so krank war der Körper. Das Böse gab nicht auf, bis Billys Bruder hereinkam und den Notarzt rief. Da verschwand es.« James klang, als sei seine Geschichte nun zu Ende.
    »Was geschah dann?«, fragte ich.
    »Wir wurden in die Notaufnahme gefahren, Mitch schlug vor Verzweiflung ein Loch in die Wand des Wartebereichs, und ich blieb in Billys Körper, während sie das Gift aus ihm herausspülten. Es war beängstigend.«
    Ich muss entsetzt ausgesehen haben.
    »So schlimm war es nicht«, sagte er. »Uns geht es jetzt gut.«
    »Sah das Böse, das sich Billy holen wollte, aus wie ein Mensch oder wie eine Kreatur?« Vielleicht hatte ich über Mr. Browns Schulter zu viel über Mittelerde gelesen, aber ich dachte, es wäre wichtig, die Gestalt des Feindes zu kennen.
    Er schüttelte den Kopf, als würde er einer Dame so etwas niemals beschreiben. Ich war von seinem Abenteuer fasziniert, und doch wirkte es immer noch unwirklich.
    »Besitzt du Billys Erinnerungen?«, fragte ich ihn.
    »Nein. Und das macht das Leben im Körper eines Fremden ziemlich kompliziert.«
    »Wo ist dein Spukplatz?« Je mehr ich über James erfuhr, desto größer wurde mein Wissensdurst.
    »In einem Park einige Meilen von hier. Früher stand dort ein zweistöckiges Haus. Da wurde ich geboren.«
    »Erinnerst du dich an dein früheres Leben als James Deardon?«, bohrte ich weiter.
    »Während ich noch Licht war, habe ich mich an überhaupt nichts erinnern können«, sagte er. »Doch seit ich wieder in einem Körper weile, sind einige Erinnerungen zu mir zurückgekommen. Warum, weiß ich nicht.«
    »Weißt du, wie du gestorben bist?«
    »Noch nicht«, erwiderte er. »Aber ich erinnere mich jeden Tag an weitere Details.«
    »Aber zum Zeitpunkt deines Todes warst du doch sicher bei deiner Familie«, sagte ich, »wenn du dann in ihrem Haus umgegangen bist.«
    »Das Haus war abgebrannt, lange bevor ich dort spukte. Ehe ich in Billys Körper landete, wusste ich nicht einmal, warum ich dort festsaß. Ich wusste nur, dass ich mich nicht mehr als dreißig Meter vom Haus entfernen konnte.«
    »Wie hast du das gemerkt?«
    »Wenn ich versuchte, mehr als dreißig Meter den Gehweg entlangzugehen …« Er dachte einen Moment nach und kürzte die Erzählung mir zuliebe ab. »Es tat zu weh. Ich musste zurückgehen.«
    Ein seltsames Wiedererkennen erschütterte mich. »Ist es, als ob schwarzes, eisiges Wasser dich erdrücken würde?«
    Er warf mir einen sonderbaren Blick zu. »Bei mir ist es eher wie ein Blitz, der mich verbrennt, und Wind, der mir in die Haut schneidet.«
    Wir sahen einander in die Augen, stellten uns gegenseitig die Hölle des anderen vor. Was für ein komischer Kauz Gott doch sein muss, dachte ich, James zu quälen. Mich durfte er bestrafen, denn ich fühlte, dass ich wirklich gesündigt hatte. Doch nicht James.
    »Du hast fast hundert Jahre allein auf einem halben Hektar Land verbracht?«, fragte ich.
    »Nun, nach ein paar Jahren haben sie einen Park gebaut«, beruhigte er mich.
    Mir war zum Weinen zumute. »Du hattest keine Lichter in der Nacht oder Bücher.«
    »Manche Leute lesen im Park«, sagte er. »Meistens

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