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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Telefonhörer. »Es ist wie ein Wunder.«
    Vielleicht war es, weil Mr. Brown zur Abfahrt bereit war, vielleicht, weil James mir aus der Seele zu sprechen schien, oder vielleicht auch einfach aus dem Grund, dass ich die letzten einhundertdreißig Jahre allein verbracht hatte, ohne gehört oder gesehen zu werden – jedenfalls war ich plötzlich einer Ohnmacht nahe. Ich senkte die Augen.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Nein.« Doch ich merkte, wie meine Gestalt wild flackerte, wie eine im Lufthauch züngelnde Kerzenflamme. Ein eisiger Schmerz erinnerte mich daran, dass sich Mr. Brown zu weit von mir entfernte.
    »Bitte sei morgen hier«, sagte James.
    Wenn man Licht ist, kann man sich durch feste Objekte genauso mühelos bewegen, wie man Additionen im Kopf durchführt. Doch wenn mir James in diesem Moment nicht die Glastür geöffnet hätte, ich weiß nicht, ob ich die Kraft besessen hätte, hindurchzugleiten.

[home]
    Kapitel 3
    W ährend der quälenden Langsamkeit der Nacht saß ich auf Mr. Browns Hausdach und überlegte mir weitere Fragen, die ich James stellen konnte. Ich sah die Sterne am Himmelsbogen aufgehen, bedächtig wie wachsendes Gras, und glitt an Mr. Browns Bett, als der Morgen dämmerte. Ich war nicht mehr über ihn verärgert, nicht mehr, seit ich selbst jemanden hatte. Doch als sich Mr. Brown gerade erheben wollte und sich Mrs. Browns Hand seinen bloßen Rücken hinaufschob und er wieder in die Kissen zurücksank, stieß ich einen frustrierten Schrei aus. Tonlose Wut, die nur einen Spatz auf dem Fensterbrett irritierte. Ich polterte nach draußen, um dort auf dem Rücksitz des Wagens zu warten.
    Ich war etwas besänftigt, als Mr. Brown schließlich erschien, sich eilig sein Hemd zuknöpfte und sich mit der Hand durchs Haar fuhr. Er hatte fast seine gesamte Schreibstunde im Bett verbracht, aber ich konnte ihm nicht böse sein. Als er sich zu mir umdrehte, um rückwärts aus der Einfahrt zu stoßen, sah er ein bisschen wie James aus – der Bogen seines Kiefers, der Schwung seiner Wimpern. Mein Herz löste sich. Er war immer noch mein Mr. Brown, und er liebte seine Frau. Und schließlich hatte ich jetzt nach so vielen Jahren, in denen ich mit ihm hatte sprechen wollen und es mir nicht erlaubt worden war, endlich auch jemanden zum Reden. Ich erinnerte mich, wie ich meinem vorherigen Bewahrer Worte in seine Träume hineinwisperte.
     
    An diesem Morgen, als Mr. Brown die Schachtel öffnete und die Seiten seines unvollendeten Romans herausnahm, legte ich meine Hand auf die Rücklehne seines Stuhls und neigte mich zur Muschel seines Ohrs.
    »Ich weiß, dass du mich nicht hören kannst«, sagte ich. »Ich wünschte, du könntest es.« Ich führte meine Finger zu seiner Schulter. Nur selten versuchte ich, die Lebenden zu berühren. Es fühlte sich seltsam an, so als würde ich fallen. Dieses Mal war es, als ob ich einen Wasserfall hinunterstürzte. Er legte die Seiten auf den Tisch und sah auf die leeren Pulte vor sich. Den Arm, den ich gerade berührte, ließ er in seinen Schoß fallen.
    »Mein Freund«, sagte ich. »Ich will dir etwas erzählen.« Ich fühlte mich töricht, und doch schlug mein Herz wie die Schwingen einer Taube, während ich mich ihm anvertraute. »Ich habe jemanden gefunden«, offenbarte ich ihm. »Er kann mich sehen und hören.«
    Mr. Brown wandte sich zur Tür, als ob er etwas vergessen hätte, und überlegte, zum Auto zurückzugehen.
    »Ich wünschte, du könntest dich für mich freuen«, flüsterte ich ihm zu. »Du bist mein einziger Freund.« Dann wurde mir klar, dass ich jetzt einen weiteren Freund hatte. Was für eine eigenartige Vorstellung.
    Mr. Brown sah aus dem Fenster an der linken Seite, dann zur Tür an der rechten Seite, als ob er ein vertrautes Gesicht sehen könnte, das hereinlugte.
    »Ich wollte es dir nur sagen«, flüsterte ich und zog meine Hand zurück. Die Klingel ertönte, schreckte ihn auf. Er packte seinen Roman weg, ohne ein einziges Wort geschrieben zu haben.
    Als ich an diesem Tag auf James wartete, war ich nicht im Geringsten ängstlich. Als er hereinkam und verstohlen den Raum absuchte, fand er mich an seinem Pult. Er versuchte, nicht zu lachen, und ich gab vor, ihn nicht zu bemerken. Er ging ruhig auf mich zu, rieb sich in gespieltem Nachdenken das Kinn und spazierte dann an mir vorbei zur hintersten Reihe, wo er sich an einem leeren Tisch niederließ. Ich blieb, wo ich war, bis jeder Schüler an seinem Platz saß, auch die junge Frau

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