Silbermantel
Getöteten auf dem Pfad.
»Hat er das allein vollbracht?« fragte der Anführer der Wachmannschaft, als sie daran vorbei waren. Seine Stimme zeugte von tiefer Verehrung.
»Ja«, gab sie ihm Bescheid. »Er wird unser König?« »la«, antwortete sie.
Sie warteten am See, während sie die Hütte betrat und dann die inzwischen vertrauten Stufen hinabging, in das Leuchten hinein, das von Lisens Licht ausging. Doch sie ließ es, wo es war, und begab sich zum Tisch, wo sie eines der Bücher aufschlug. Oh, was für ein Wunder, was für ein Schrecken, dass sie wusste, wo sie nachzusehen hatte, aber sie tat es und saß mutterseelenallein da und las die Worte, die sie würde sprechen müssen.
Aber nur, wenn sie den Ort kannte, den keiner kannte. Die aufeinander gehäuften Steine waren nur der Ausgangspunkt.
Auf diesem Pfad lag noch ein langer Weg vor ihr; ein langer Weg, doch nun hatte sie ihn angetreten. Geistesabwesend, verloren in den Zwischenräumen von Zeit und Raum, stieg die Seherin von Brennin wieder die Stufen empor. Ailerons Männer warteten auf sie in disziplinierter Wachsamkeit neben dem See.
Es war Zeit, zu gehen. Es gab ungeheuer viel zu tun. Doch sie verweilte im Innern der Hütte und betrachtete die Feuerstelle, den Herd, den abgenutzten Tisch, die Kräuter in ihren Töpfen an der Wand. Sie las die Aufschriften, nahm den Korken aus einem der Gefäße, um an seinem Inhalt zu schnuppern. Es gab so viel zu tun, das wusste die Seherin von Brennin, und doch verweilte sie, genoss das Alleinsein.
Es war ein bittersüßes Gefühl, und als sie sich endlich aufraffte, ging Kimberly, immer noch allein, auf den Hof hinaus, fort von der Stelle, wo die Soldaten sich aufhielten, und sie sah, dass drei Männer zu Pferde von Norden her langsam den Abhang herunterkamen, und einen davon kannte sie, oh, sie kannte ihn. Und es hatte den Anschein, als könne inmitten aller Belastungen und Sorgen die Freude immer noch blühen wie eine Bannblume im Wald.
*
Sie setzten Ailell dan Art in einer Zeit des Regens bei. Er prasselte gegen die Fenster Delevans hoch droben im Großen Saal, wo der König in vollem Ornat dalag, weiß und golden gewandet, das Schwert auf der Brust, die riesigen, knorrigen Hände um den Griff geschlossen; er fiel sanft auf die prachtvolle Webdecke der Bahre, als der Adel Brennins, der sich zum Feiern versammelt hatte und nun dablieb, um zu trauern und Krieg zu führen, ihn aus dem Palast hinaustrug und vor die Tempeltore, wo die Frauen ihn übernahmen; er rauschte auch herab auf die Kuppel jenes Heiligtums, während Jaelle, die Hohepriesterin, die Riten der Mutter vollzog, um einen der Könige heim zu ihr zu schicken.
Kein Mann war dort anwesend. Loren hatte Paul mit sich fortgenommen. Sie hatte gehofft, Silbermantel erschüttert zu sehen, war jedoch enttäuscht worden, denn der Magier hatte nicht die leiseste Überraschung gezeigt, und sie war gezwungen gewesen, ihre Verwirrung hierüber zu verbergen, und darüber, dass er sich vor dem Zweimal Geborenen verneigt hatte.
Kein Mann war dort anwesend, bis auf den verstorbenen König, als sie die mächtige Axt von ihrem Ständer hoben, und kein Mann sah, was sie dann taten. Dana wurde nicht verhöhnt oder verleugnet, als sie ihr Kind heimholte, das sie vor so langer Zeit auf den Runenpfad geschickt hatte, der immer wieder zu ihr zurückführte.
Es stand der Hohepriesterin zu, den Großkönig beizusetzen, und so kam es, dass Jaelle ihnen voranging, als die Riten beendet waren. Sie trat in den Regen hinaus, in Weiß gehüllt zwischen all dem Schwarz, und sie trugen Ailell auf den Schultern hinter ihr her zur Krypta, wo die Könige von Brennin zur Ruhe gebettet wurden.
Östlich des Palastes lag sie, nördlich des Tempels. Vor dem Leichnam schritt Jaelle einher, mit dem Schlüssel zu ihren Toren in der Hand. Hinter der Bahre ging, schön und einsam, Diarmuid her, des Königs Erbe, und hinter ihm kam der geringere Adel von Brennin. Dazwischen hatte sich, wenn auch von anderen gestützt, ein Prinz der Lios Alfar eingereiht, und obendrein waren zwei Männer vom Volk der Dalrei gekommen, von der Ebene; und mit ihnen gingen zwei Männer aus einer anderen Welt, der eine sehr groß und dunkel, der andere hellhaarig, und zwischen ihnen war eine Frau mit weißem Haar. Das gemeine Volk hatte am Wegesrand Aufstellung genommen, sechs Reihen tief mitten im Regen, und sie verneigten sich, als Ailell an ihnen vorbeizog.
Dann erreichten sie die riesigen Torc der
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