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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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geschenkt hat.«
    »Auf gar keinen Fall. Du bist ein größerer Narr, als ich angenommen hatte, wenn du Dana nicht erkennst, da sie zu dir kommt.«
    »Tatsache ist«, widersprach er sanft, denn dies war eine Angelegenheit von zu großer Wichtigkeit, um sich darüber zu zanken, »dass ich es sehr wohl erkannt habe. In diesem Fall sogar umfassender als du, Priesterin. Die Göttin war da, ja, und sie hat Fürsprache für mich eingelegt, wenn auch nicht für mein Leben. Für etwas anderes vor meinem Ende. Und es war Mörnir, der mich gerettet hat. Er hatte die Wahl. Der Sommerbaum gehört dem Gott, Jaelle.«
    Zum ersten Mal erkannte er das Aufflackern von Zweifeln in ihren weit auseinander liegenden Augen. »Aber da war sie? Gesprochen hat sie? Erzähle mir, was sie gesagt hat.«
    »Nein«, entgegnete Paul entschieden. »Ich muss es wissen.« Doch dies war nun kein Befehl mehr. Er hatte das unbestimmte Gefühl, als gebe es etwas, das er ihr mitteilen sollte, mitteilen wollte, aber er war so müde, so gänzlich erschöpft. Und das führte zu einer völlig anderen Erkenntnis.
    »Weißt du eigentlich«, brauste er auf, »dass ich seit drei Tagen nichts mehr zu essen oder zu trinken bekommen habe. Gibt es …?«
    Sie stand einen Moment lang still, doch als sie sich endlich in Bewegung setzte, begab sie sich zu einem Tablett auf einem niederen Tisch an der gegenüberliegenden Wand. Sie brachte ihm eine Schale mit kalter Suppe ans Bett. Unglücklicherweise schienen seine Hände ihm noch nicht wieder richtig zu gehorchen. Er dachte, sie würde eine der graugekleideten Priesterinnen herbeirufen, doch am Ende setzte sie sich steif neben ihn auf die Bettkante und fütterte ihn persönlich.
    Er aß schweigend und lehnte sich in die Kissen zurück, nachdem er fertig war. Sie schickte sich zum Aufstehen an, doch dann benutzte sie mit widerwilligem Gesicht den Ärmel ihres weißen Gewandes, um ihm das Blut von der Wange zu wischen.
    Erst dann erhob sie sich und stand hochgewachsen und majestätisch neben seinem Bett, mit Haaren von der Farbe des Kerzenlichts. Als er zu ihr aufblickte, wurde ihm plötzlich seine missliche Lage bewusst.
    »Warum«, fragte er, »bin ich hier?« »Ich habe die Zeichen der Zeit erkannt.«
    »Du hattest nicht erwartet, mich lebendig vorzufinden?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber es war die dritte Nacht, und dann ist der Mond aufgegangen …«
    Er nickte. »Aber warum?« bohrte er weiter. »Warum sich diese Mühe machen?«
    Ihre Augen blitzten. »Sei nicht so kindisch. Wir befinden uns jetzt im Krieg. Du wirst gebraucht werden.«
    Er spürte, wie sein Herz einmal aussetzte. »Was meinst du? Was für ein Krieg?«
    »Du weißt es nicht?«
    »Ich war ein wenig abgeschnitten von der Welt«, bemerkte er bissig. »Was ist geschehen?«
    Es mochte ihr schwer gefallen sein, aber ihre Stimme war beherrscht. »Der Rangat ist gestern ausgebrochen. Eine Feuerhand am Himmel. Der Wachtstein ist zerbrochen. Rakoth ist frei.«
    Er verhielt sich völlig still.
    »Der König ist tot«, fuhr sie fort. »Das weiß ich«, entgegnete er. »Ich habe die Glocken gehört.«
    Doch nun nahm ihr Gesicht zum ersten Mal einen angestrengten Ausdruck an; ihren Augen war anzusehen, dass ihr etwas zu schaffen machte.
    »Es gibt noch mehr zu berichten«, sagte Jaelle. »Eine Schar Lios Alfar wurde hier von Svarts und Wölfen überfallen. Deine Freundin war bei ihnen. Jennifer. Es tut mir leid, aber sie wurde gefangen genommen und gen Norden entführt. Ein schwarzer Schwan hat sie fortgetragen.«
    Das war es also. Er schloss erneut die Augen und fühlte, wie sich die Bürde auf ihn herabsenkte. Wie es schien, ließ sie sich doch nicht aufschieben. Pfeil des Gottes. Speer des Gottes Drei Nächte und in alle Ewigkeit, hatte der König gesagt. Der König war tot. Und Jen.
    Er hob aufs Neue den Blick. »Nun weiß ich, warum er mich zurückgeschickt hat.«
    Offenbar gegen ihren Willen nickte Jaelle. »Zweimal geboren«, flüsterte sie.
    Wortlos befragte er sie mit den Augen. »Es gibt ein Sprichwort«, raunte sie, »ein sehr altes: Kein Mann soll Herr des Sommerbaums sein, der nicht zweimal geboren wurde.«
    Und so kam es, dass er im Kerzenschein des Heiligtums die Worte zum ersten Mal hörte.
    »Danach habe ich nicht verlangt«, sagte Paul Schafer.
    Sie war sehr schön, sehr ernst, eine Flamme, den Kerzen gleich. »Verlangst du, dass ich Mitleid mit dir habe?«
    Bei ihren Worten verzog er den Mund. »Kaum, jedenfalls nicht zu diesem

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