Silbermantel
Entgelt ihre Spottgedichte auf all diejenigen, die ihnen der jeweilige Wohltäter nannte; nicht wenige rächten sich so vermittels der eindeutigen, treffenden Verse der Cyngael – die seit den Tagen Colans keinem Gesetz unterworfen waren, es sei denn dem ihres eigenen Rates. In diesem Trubel schleppten Händler ihre Waren umher oder boten ihre Erzeugnisse an eilig errichteten Ständen unter freiem Himmel dar. Und dann schwollen die Geräusche, die von Anfang an dröhnend laut gewesen waren, zu einem Donnern an, denn nun waren auf der Balustrade Gestalten aufmarschiert.
Der Lärm traf Kevin wie ein Schlag. Er betrachtete das Fehlen einer Sonnenbrille als eine Quelle tiefen und umfassenden Kummers. Geschlagen mit einem monumentalen Kater, so blass, dass er beinahe grün wirkte, blickte er zu Diarmuid hinüber und verfluchte ihn im Stillen für die Eleganz seiner Erscheinung. Als er sich Kim zuwandte – und die Bewegung schmerzte höllisch –, erntete er ein schiefes, mitleidiges Lächeln, das zugleich seiner Seele wohltat und seinen Stolz verletzte.
Es war bereits sehr heiß. Die Sonne stand schmerzlich grell am wolkenlosen Himmel, und ebenso grell waren die Farben der Gewänder, die der Adel am Hofe Ailells trug. Der Großkönig selbst, dem sie bisher noch nicht vorgestellt worden waren, hatte sich in einiger Entfernung auf dem Balkon eingefunden, wurde jedoch von seinem Gefolge verdeckt. Kevin schloss die Augen und wünschte, sich in den Schatten zurückziehen zu können, anstatt vorne zu stehen und sich begaffen zu lassen … Rothäute, hah.
Eher schon Rotäugige. Mit geschlossenen Augen war es nicht mehr so schlimm. Die salbungsvolle Stimme Gorlaes’, der soeben die glänzenden Errungenschaften der Herrschaft Ailells aufzählte, trat immer weiter in den Hintergrund. Was, zum Teufel, ist das für ein Wein, den man in dieser Welt keltert, dachte Kevin, zu ausgelaugt, um sich ernsthaft zu entrüsten.
Eine Stunde, nachdem sie zu Bett gegangen waren, hatte es an die Tür geklopft. Zu der Zeit waren sie beide noch nicht eingeschlafen.
»Sei vorsichtig«, mahnte Paul und stützte sich auf einen Ellenbogen. Kevin hatte sich aus dem Bett geschwungen und zog nun seine Cordhosen über, ehe er an die Tür trat.
»Ja?« fragte er, ohne den Riegel anzurühren. »Wer ist da?« »Gesellige Nachtschwärmer«, antwortete eine bereits vertraute Stimme. »Macht auf. Ich muss Tegid vom Flur schaffen.«
Lachend sah sich Kevin über die Schulter um. Paul war aufgestanden und schon halb angezogen. Kevin öffnete die Tür und Diarmuid trat rasch herein, in der Hand zwei Weinbeutel, einen davon bereits entkorkt. Hinter ihm kamen Coll und der verrückte Tegid herein, beide ebenfalls mit Wein beladen, gefolgt von zwei weiteren Männern, die diverse Kleidungsstücke trugen.
»Für den morgigen Tag«, beantwortete der Prinz Kevins fragenden Blick, den dieser auf die zuletzt Eingetroffenen warf.
»Ich habe doch versprochen, für euch zu sorgen.« Er warf ihm einen der Beutel zu und lächelte.
»Sehr freundlich«, sagte Kevin und fing ihn auf. Er setzte ihn an, wie er es Jahre zuvor in Spanien gelernt hatte, und ließ sich einen Strahl dunklen Weines in die Kehle fließen. Dann warf er Paul den ledernen Beutel zu, der wortlos daraus trank.
»Ah!« rief Tegid aus, als er sich auf einer der langen Bänke niedergelassen hatte. »Ich bin so ausgetrocknet wie Jaelles Herz. Auf den König!« rief er aus, wobei er seinen eigenen Beutel hob, »und auf seinen glorreichen Erben, den Prinzen Diarmuid, und auf unsere edlen und erlesenen Gäste, und auf …« Der Rest seiner Rede ging im Geräusch des reichlich in seinen Mund fließenden Weines unter. Endlich verebbte der Strom. Tegid tauchte wieder auf, rülpste und sah sich um. »Ich habe heute Abend einen mächtigen Durst im Leibe«, erläuterte er unnötigerweise.
Paul wandte sich beiläufig an den Prinzen. »Wenn Ihr in Feierstimmung seid, befindet Ihr Euch dann nicht im falschen Schlafzimmer?«
Diarmuids Lächeln fiel kläglich aus. »Ihr müsst nicht glauben, dass ihr die erste Wahl wart«, murmelte er. »Eure charmanten Begleiterinnen haben ihre Gewänder für morgen angenommen, aber weiter nichts, fürchte ich. Die kleine, Kim« – er schüttelte den Kopf – »hat ein tüchtiges Mundwerk.«
»Mein Beileid«, sagte Kevin entzückt. »Ich habe es selbst schon ein paar Mal zu spüren bekommen.«
»Dann«, forderte Diarmuid dan Ailell ihn auf, »lasst uns auf unser beider
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