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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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bemitleidenswerte Lage trinken.« Der Prinz gab den Ton an, indem er ihnen mitteilte, was er als unerlässliche Informationen bezeichnete: witzige obszöne Beschreibungen der diversen Hofdamen, die sie wahrscheinlich noch kennen lernen würden. Beschreibungen, die eine intime Kenntnis nicht nur ihrer öffentlich zur Schau getragenen, sondern auch ihrer privatesten Gewohnheiten verrieten.
    Tegid und Coll blieben; die anderen beiden Männer gingen nach einer Weile und wurden durch ein zweites Paar mit weiteren Weinbeuteln ersetzt. Nach einer Weile empfahlen sie sich wie ihre Vorgänger. Die zwei, die nun ihre Nachfolge antraten, lächelten allerdings nicht, als sie hereinkamen.
    »Was ist, Carde?« fragte Coll den mit den blonden Haaren. Der Angesprochene räusperte sich. Auf diesen Laut hin wurde Diarmuid aufmerksam, der es sich in einem tiefen Sessel am Fenster bequem gemacht hatte.
    Cardes Stimme war sehr leise. »Etwas Seltsames. Ich dachte, Ihr solltet gleich davon erfahren. Im Garten unter diesem Fenster liegt ein toter Svart Alfar.«
    Durch den Schleier hindurch, in welchen der Wein ihn gehüllt hatte, sah Kevin, wie Diarmuid aufsprang.
    »Gut gewebt«, bemerkte der Prinz. »Wer hat ihn erlegt?« Cardes Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Das ist es ja gerade, Herr. Erron fand ihn tot vor. Sein Hals war … zerfetzt, Herr. Erron meint … er meint, ein Wolf hätte das getan, obwohl … wenn ich das sagen darf, Herr, ich möchte dem Wesen nicht begegnen, das diese Kreatur getötet hat.«
    In dem darauf folgenden Schweigen blickte Kevin zu Paul Schafer hinüber. Auf seinem Bett sitzend wirkte Schafer dünner und zerbrechlicher denn je. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
    Diarmuid unterbrach die Stille. »Du sagtest, er liegt unter diesem Fenster?«
    Carde nickte, aber der Prinz hatte sich bereits abgewandt, stieß die Balkontür auf, trat hinaus und schwang sich über die Brüstung. Und Paul Schafer war direkt hinter ihm. Was bedeutete, dass auch Kevin hinterher musste. Coll neben sich und Carde dicht dahinter trat er an den Rand des Balkons, schwang sich über die Balustrade, hing einen schwindelerregenden Moment nur an den Händen, um sich dann die drei Meter in den Garten hinab fallen zu lassen. Allein Tegid blieb im Zimmer zurück, denn sein riesenhafter Körperumfang schloss ihn von so einer Kletterpartie aus.
    Diarmuid und Paul waren dort angelangt, wo drei Männer neben einem verkümmerten Gebüsch standen. Sie traten beiseite, um den Prinzen vorbeizulassen. Kevin atmete tief durch, um den Kopf klar zu bekommen, dann schloss er zu Paul auf und sah zu Boden.
    Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wünschte er, das nicht getan zu haben. Dem Svart Alfar war der Kopf so gut wie abgetrennt worden; er war von Klauen zerfetzt. Der eine Arm war an der Schulter abgerissen, hing nur noch an einem entblößten Stück Knorpelgewebe am übrigen Körper, und der nackte Torso des dunkelgrünen, haarlosen Wesens war von tiefen Klauenspuren gezeichnet. Selbst hier im Dunkeln konnte Kevin das dickflüssige Blut erkennen, das in der ausgetrockneten Erde gerann. Sehr vorsichtig, durchatmend und vom Schock beinahe gänzlich ernüchtert kämpfte Kevin den Impuls nieder, sich zu erbrechen. Lange Zeit sagte niemand ein Wort: Die rasende Wut, welche sich an der verstümmelten Kreatur dort am Boden offenbarte, brachte sie zum Schweigen.
    Schließlich richtete sich Diarmuid auf und trat ein paar Schritte zurück. »Carde«, sagte er entschieden, »ich möchte, dass die Wache für unsere Gäste ab sofort verdoppelt wird. Morgen erwarte ich einen Bericht darüber, warum keiner von euch diese Kreatur entdeckt hat. Und warum ihr nicht gesehen habt, was sie getötet hat. Wenn ich Wachen aufstelle, erwarte ich, dass sie auch zu etwas nütze sind.«
    »Herr.« Tief betroffen entfernte sich Carde zusammen mit den anderen Wachtleuten.
    Coll hockte immer noch neben dem toten Svart. Jetzt blickte er über die Schulter. »Diar«, meinte er, »der das angerichtet hat, war kein gewöhnlicher Wolf.«
    »Ich weiß«, entgegnete der Prinz. »Wenn es überhaupt ein Wolf war.«
    Kevin drehte sich um und sah wieder Paul Schafer an. Der hatte ihnen den Rücken zugekehrt. Er blickte zur äußeren Gartenmauer hinüber.
    Nach einiger Zeit kehrten die vier zum Balkon zurück. Mit Hilfe einiger Spalten in der Palastmauer und Tegid, der ihnen über die Brüstung half, hatten sie sich bald wieder im Zimmer eingefunden. Diarmuid,

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