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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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fest, als Paul zu ihm heraustrat.
    »Es hat lange nicht geregnet, sagt Diarmuid.« »Stimmt.« Sie schwiegen. Endlich war eine leichte Brise aufgekommen, um die Nacht abzukühlen.
    »Ist dir der Mond aufgefallen?« fragte Paul und lehnte sich auf die Brüstung.
    Kevin nickte. »Größer, meinst du? Ja, das habe ich bemerkt. Ich frage mich, was das wohl für einen Effekt hat?«
    »Höhere Gezeitenunterschiede, wahrscheinlich.« »Gut möglich. Und mehr Werwölfe.« Schafer schenkte ihm einen schiefen Blick. »Würde mich nicht überraschen. Sag mal, was hältst du von dem, was wir vorhin erlebt haben?«
    »Na ja, Loren und Diarmuid scheinen auf der gleichen Seite zu stehen.«
    »Sieht so aus. Matt traut ihm nicht recht über den Weg.«
    »Irgendwie überrascht mich das gar nicht.« »Tatsächlich. Und wie beurteilst du Gorlaes? Er hatte es ziemlich eilig, die Truppen zu Hilfe zu rufen. Hat er nur seine Befehle befolgt, oder –?«
    »Ganz bestimmt nicht, Paul. Ich habe sein Gesicht gesehen, als Diarmuid uns zu Gastfreunden erklärte. Darüber war er absolut nicht glücklich, mein Freund.«
    »Tatsächlich?« sagte Schafer. »Na ja, das vereinfacht die Sache zumindest. Aber ich würde gern mehr über diese Jaelle erfahren. Und über Diarmuids Bruder.«
    »Den Namenlosen?« intonierte Kevin trauervoll. »Den Mann ohne Namen?«
    Schafer schnaubte. »Sehr witzig. Ja, über den.« »Wir werden schon noch dahinter kommen. Wir sind schon hinter ganz andere Sachen gekommen.«
    »Ich weiß«, bestätigte Paul Schafer und lächelte, was nur selten vorkam.
    »O Romeo, mein Romeo«, rief es klagend zu ihrer Linken.
    Sie blickten hinüber. Schmachtend taumelte ihnen Kim Ford auf dem nächstgelegenen Balkon entgegen. Der Abstand betrug etwa drei Meter.
    »Ich komme!« erwiderte Kevin sofort. Er eilte zum Rand ihres eigenen Balkons.
    »O eile, fliege!« trällerte Kimberly. Hinter ihr begann Jennifer beinahe gegen ihren Willen zu lachen.
    »Ich komme!« wiederholte Kevin und machte sich ostentativ daran, die Brüstung zu erklimmen. »Geht’s euch beiden da drüben gut?« fragte er und hielt mitten in seiner Bewegung inne. »Seid ihr schon entehrt worden?«
    »Nichts da«, lamentierte Kim. »Es findet sich keiner, der Manns genug wäre, den Sprung auf unseren Balkon zu wagen.«
    Kevin lachte. »Ich müsste mich ziemlich beeilen«, spöttelte er, »um vor dem Prinzen dort anzukommen.«
    »Ich bin nicht sicher«, bezweifelte Jennifer Lowell, »ob es irgend jemand schaffen könnte, schneller zu sein als dieser Kerl.«
    Als Paul Schafer die Scherze und das Gelächter der Frauen einsetzen hörte, zog er sich auf die andere Seite des Balkons zurück. Er war sich durchaus im klaren darüber, dass dieses leichtfertige Gerede nichts weiter als eine Reaktion auf das Nachlassen der Spannung war, aber zu so etwas fehlte ihm das Verständnis. Er legte seine unberingten, (eingliedrigen Hände auf die Brüstung und blickte hinaus und hinab in den kahlen Garten. So stand er da und sah sich um, ohne wirklich etwas zu erkennen: Die Landschaft vor seinem inneren Auge nahm seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch.
    Auch wenn Schafer das Dunkel sorgsam abgesucht hätte, wäre ihm das unheimliche Geschöpf höchstwahrscheinlich entgangen, das hinter einer Gruppe verkümmerter Büsche kauerte und ihn beobachtete. Es verspürte einen heftigen Drang, zu töten, und Paul war in sichere Schussweite der vergifteten Pfeile getreten, die es bei sich trug. In diesem Moment hätte er sterben können.
    Aber bei dem Wesen dort unten siegte die Angst über die Blutgier. Ihm war befohlen, zu beobachten und Meldung zu machen, nicht zu töten.
    Daher blieb Paul am Leben, ohne zu ahnen, dass er unter Beobachtung stand, und nach einer Weile holte er tief Luft und wandte die Augen von den Schatten dort unten ab, die er so lange blicklos fixiert hatte.
    Und entdeckte etwas, das keiner der anderen sah.
    Hoch droben auf der äußeren Mauer, die den Garten umschloss, stand ein riesiger grauer Hund oder Wolf und spähte im Mondlicht zu ihm herüber, mit Augen, die nicht die eines Hundes oder Wolfes waren und in denen eine Trauer lag, tiefer und älter als alles, was Paul je gesehen oder erlebt hatte. Von der Mauerkrone starrte das Wesen ihn auf eine Weise an, wie sie Tieren angeblich fremd sein soll. Und es rief nach ihm. Die Verlockung war unverkennbar, gebieterisch, furchteinflößend. Im Schatten der Nacht aufragend griff es nach ihm, und seine so unnatürlich deutlich

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