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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Tegid und Coll entfernten sich kurz darauf. Der Prinz hinterließ ihnen zwei Beutel Wein und ein Angebot; sie nahmen beides an. Schließlich trank Kevin beinahe den ganzen Wein alleine, vor allem da Paul zur Abwechslung einmal nicht zum Reden aufgelegt war.
    *
    »Wir sind dran!« zischte Kim und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. Und so war es anscheinend auch. Auf Gorlaes’ ausladende Geste hin traten die vier vor und winkten der laut jubelnden Menge zu, wie man es ihnen beigebracht hatte.
    Während Kimberly mit einem Arm winkte und mit dem anderen Kevin stützte, wurde ihr plötzlich klar, dass dies die Szene war, die Loren zwei Abende zuvor im Park Plaza Hotel für sie heraufbeschworen hatte. Unwillkürlich blickte sie über die Schulter nach oben. Und erkannte das Banner, das träge über ihren Köpfen flatterte: die Mondsichel und die Eiche.
    Kevin, der für ihren Arm dankbar war, brachte tatsächlich ein paar winkende Bewegungen und ein eingefrorenes Lächeln zustande, während er zugleich überlegte, dass die aufgeregte Versammlung dort unten doch sehr viel auf Treu’ und Glauben hinnahm. So hoch droben hätten sie genauso gut vier beliebige Angehörige des Hofes sein können. Er ging davon aus und war beeindruckt, wie klar er doch zu denken verstand, dass die Wirkung ihres Auftritts hier sich ohnehin auf den Adel beschränken würde. Die Leute um sie herum wussten“ dass sie aus einer anderen Welt stammten – und irgendwem schien das absolut nicht zu behagen.
    Sein Kopf brachte ihn beinahe um, und in seinem Mund schien sich eine Art pelziger Schwamm auszubreiten. Reiß dich lieber zusammen, dachte er, du wirst gleich einen König kennen lernen. Und morgen erwartete ihn ein langer Ritt, an dessen Ziel Gott weiß was passieren konnte.
    Denn Diarmuids letztes Angebot war ganz unerwartet gekommen. »Wir brechen morgen nach Süden auf«, hatte er ihnen unterbreitet, als die Morgendämmerung hereinbrach. »Über den Fluss. Eine Art Streifzug, aber in aller Stille. Niemand soll davon erfahren. Wenn ihr euch zutraut, dabeizusein, könnte es für euch recht interessant werden. Die Sache ist nicht ohne Risiko, aber ich denke, wir können auf euch aufpassen.« Es war das Lächeln beim letzten Satz, das sie zur Zustimmung veranlasste – und genau das, erkannte Kevin, hatte dieser gemeine Intrigant auch beabsichtigt.
     
    Der Thronsaal von Paras Derval war von Tomaz Lal entworfen, dem Lehrmeister Ginserats, der später die Wachtsteine sowie manch anderen zauberkräftigen und zugleich schönen Gegenstand der Vergangenheit schuf.
    Zwölf wuchtige Säulen trugen die hohe Decke. Hoch droben in die Wände waren Delevans Fenster eingelassen Buntglasbilder von der Gründung des Großkönigtums durch lorweth und den ersten Kriegen gegen Eridu und Cathal. Das letzte Fenster in der Westwand, über dem Baldachin des Throns von Brennin, stellte Conary selbst dar, neben ihm den jungen Colan, beide mit wehendem hellem Haar, wie sie über die Ebene nordwärts zur letzten Schlacht gegen Rakoth Maugrim ritten. Wenn die Sonne unterging, pflegte dieses Fenster derart aufzuleuchten, dass die Gesichter des Königs und seines goldenen Sohnes wie von innen heraus majestätisch erstrahlten, obwohl das Fenster vor beinahe tausend Jahren gefertigt worden war. Von solcher Größe war die Kunst Delevans, die Kunstfertigkeit des Tomaz Lal.
    Als sie zwischen den riesigen Säulen hindurch über die Mosaikkacheln schritt, empfand Kimberly zum ersten Mal ein Gefühl der Ehrfurcht vor diesem Ort. Die Säulen, die Fenster, die allgegenwärtigen Wandbehänge, der juwelengeschmückte Boden, die edelsteinbesetzte Kleidung der Damen und Herren des Hofes, sogar die seidene Pracht des lavendelfarbenen Gewandes, das sie trug … Sie holte einmal vorsichtig und tief Luft und hielt sich so aufrecht, wie sie nur konnte.
    Und so erblickte sie, als Loren sie gemeinsam dem Westende des Saals zuführte, unter dem letzten großen Fenster eine Plattform aus Marmor und Obsidian, darauf einen aus schwerer Eiche geschnitzten Thron, und auf dem Thron saß ein Mann, den sie zuvor nur durch die Menge auf dem Balkon ganz kurz erspäht hatte.
    Die Tragödie des Ailell dan Art lag darin, dass er aus so großen Höhen herabgesunken war. Der hagere Mann mit dem schütteren schneeweißen Bart und dem verschwommenen, vom Star getrübten Blick ließ nur wenig von jenem hünenhaften Krieger mit Augen wie der Himmel um die Mittagsstunde erahnen, der fünfzig Jahre zuvor den

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