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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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die Euch als Freier umschmeicheln, die gnädige Prinzessin spielen wollt, dann geht mich das nichts an, aber –«
    »Die Fürsten von Cathal sind nicht unbedeutend, mein Herr! Sie –«
    »Bitte, beleidigt doch nicht unser beider Intelligenz! Dieser verweichlichte Prügelknabe heute Nachmittag? Sein Vater? Es würde mir großes Vergnügen bereiten, Bragon zu töten. Sie alle sind mehr als nur unbedeutend. Und wenn Ihr mit mir redet wie mit ihnen, würdigt Ihr auf unerträgliche Weise herab, was zwischen uns ist.«
    Sie waren wieder am Lyrenbaum angekommen. Tief in ihrem Innern regte sich der Falke. Sie setzte alles daran, ihn erbarmungslos zu unterdrücken, wie es von ihr verlangt wurde.
    »Fürstlicher Herr, ich muss sagen, ich bin erstaunt. Ihr könnt kaum eine weniger förmliche Konversation verlangen, an diesem, unserem ersten –«
    »Aber gerade das erwarte ich! Ich erwarte, die Frau in Euch zu sehen und zu hören, die ein Mädchen war, das auf alle Bäume dieses Gartens geklettert ist. Die Rolle der Prinzessin langweilt mich, verletzt mich. Entwürdigt diese Nacht.«
    »Und was bedeutet diese Nacht?« fragte sie und biss sich auf die Unterlippe, sobald sie das ausgesprochen hatte.
    »Sie gehört uns«, erwiderte er.
    Und seine Arme umschlangen ihre Taille im Schatten des Lyren, und sein Mund senkte sich auf den ihren herab. Sein Kopf verdunkelte den Mond, aber da hatte sie ohnehin bereits die Augen geschlossen. Und dann drückte sich sein breiter Mund auf ihre Lippen, und seine Zunge »Nein!« Sie entzog sich ihm gewaltsam und fiel dabei fast zu Boden. Sie standen einander auf kurze Entfernung gegenüber. Ihr Herz war ein wildes, pochendes, geflügeltes Ding, das sie im Zaum halten musste. Sie konnte nicht anders. Sie war Sharra, Tochter des Königs.
    »Dunkle Rose«, flüsterte er mit unsicherer Stimme. Er trat einen Schritt auf sie zu.
    »Nein!« Sie hatte die Hände erhoben, um ihn abzuwehren.
    Diarmuid hielt inne. Betrachtete ihre zitternde Gestalt. »Was fürchtet Ihr an mir?« fragte er.
    Das Atmen fiel ihr schwer. Sie war sich ihrer Brüste bewusst, des Windes um sie, seiner Nähe, einer dunklen Wärme in ihrem Innern. »Wie habt Ihr den Fluss überquert?« platzte sie heraus.
    Sie erwartete, er werde mit Spott reagieren. Das hätte ihr geholfen. Aber sein Blick war ernst, und er verharrte völlig regungslos.
    »Ich habe den Pfeil eines Magiers und ein Seil benutzt«, vertraute er ihr an. »Ich habe Hand über Hand das Wasser überquert und bin dann Stufen hinaufgeklettert, die vor Hunderten von Jahren in den Fels gehauen wurden. Ich sage Euch das im Vertrauen. Ihr werdet es doch nicht verraten?«
    Sie war ganz Prinzessin von Cathal. »Ich gebe Euch kein solches Versprechen, denn das kann ich nicht. Ich werde Euch im Augenblick nicht verraten, aber Geheimnisse, die mein Volk gefährden –«
    »Und was, glaubt Ihr, habe ich getan, indem ich es Euch sagte? Bin ich nicht Erbe eines Throns, genau wie Ihr?«
    Sie schüttelte den Kopf. Eine innere Stimme drängte sie, fortzulaufen, aber stattdessen setzte sie, so ruhig es ihr möglich war, zum Sprechen an. »Ihr dürft nicht dem Irrtum erliegen, Fürstlicher Herr, dass Ihr eine Tochter Shalhassans einfach dadurch gewinnen könnt, dass Ihr hierher kommt und –«
    »Sharra!« rief er und sprach damit zum ersten Mal ihren Namen aus, so dass er in der Nachtluft erklang wie eine Glocke, die Schmerz verkündet. »Ist dir klar, was du da sagst? Es ist nicht bloß –«
    Und dann vernahmen sie es beide.
    Das misstönende Gerassel von Rüstungen, als die Palastwache sich auf der anderen Seite der Mauer näherte.
    »Was war das?« erklang eine knarrende Stimme, die sie als die von Devorsh erkannte, einem Hauptmann der Wache. Es folgte eine gemurmelte Antwort. Dann: »Nein, ich habe Stimmen gehört. Zwei von euch sollen sich mal drinnen umsehen. Nehmt die Hunde mit!«
    Das Geräusch zweier sich entfernender Männer in Rüstungen durchbrach die Nachtstille.
    Vereint standen sie unter dem Baum. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Wenn sie dich finden, werden sie dich töten, du solltest also lieber gehen.«
    Es war unglaublich, aber sein Blick, als er sie von oben herab ganz aus der Nähe ansah, war unbesorgt. »Wenn sie mich finden, töten sie mich«, erklärte Diarmuid. »Wenn sie können. Vielleicht würdest du mir die Augen schließen, wie ich es einmal von dir erbeten habe.« Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Stimme wurde rau. »Aber in diesem

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