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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Fragen abwehrte, so gut es ging, gelang es ihr kaum, ihre wachsende Gereiztheit zu verbergen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums spielte ein Mann auf einem Saiteninstrument, unter einem Wandbehang, auf dem eine Schlachtenszene abgebildet war. Über den Kämpfenden flog ein Drache durch die Lüfte. Sie hoffte sehr, dass es hier um eine rein mythische Auseinandersetzung ging.
    Die Damen waren ihr ohne Ausnahme kurz vorgestellt worden, aber nur zwei Namen hatten sich ihr eingeprägt. Laesha war die sehr junge Hofdame mit den braunen Augen, die man ihr zugeteilt zu haben schien. Sie war schweigsam, und das war ein Segen. Die andere war die Dame Rheva, eine auffallend schöne dunkelhaarige Frau, die eindeutig einen höheren Rang bekleidete als die anderen und gegen die Jennifer sogleich eine Abneigung gefasst hatte.
    Dieses Gefühl wurde auch nicht geringer, als ihr klar wurde, weil Rheva es ihr klarmachte, dass diese die vergangene Nacht bei Kevin verbracht hatte. Dies war offensichtlich ein Triumph in einer ständigen Konkurrenz um Pluspunkte, und Rheva genoss ihn in vollen Zügen. Das war in höchstem Maße ärgerlich, und Jennifer, die von allen Verlassene, war nicht in der Stimmung, sich verärgern zu lassen.
    So kam es, dass Jennifers Auflachen, als eine andere Frau schmollend ihr Haar zurückwarf und fragte, ob sie eine Ahnung habe, warum Paul Schafer ihr gegenüber so gleichgültig gewesen sei – »Zieht er es vielleicht vor, seine Nächte in der Gesellschaft von Knaben zu verbringen?« fragte sie ein wenig maliziös –, dass dieses Auflachen gänzlich ohne Humor war.
    »Da gibt es doch näher liegende Möglichkeiten, denke ich«, entgegnete sie und war sich bewusst, dass sie sich soeben eine Feindin schuf. »Paul ist ein wenig wählerisch, das ist alles.« Kurze Zeit blieb es völlig still. Jemand kicherte. Dann: »Wollt Ihr damit möglicherweise andeuten, dass Kevin es nicht ist?« Dies kam von der Dame Rheva, und ihre Stimme hatte einen ausgesprochen sanften Ton.
    Jennifer wusste damit umzugehen. Allerdings konnte sie sich nicht damit abfinden, dass es so weitergehen sollte. Sie erhob sich unvermittelt von ihrem Fenstersitz und blickte lächelnd auf die andere herab.
    »Nein«, sagte sie weise. »Wie ich Kevin kenne, würde ich das auf keinen Fall von ihm behaupten. Die Kunst besteht jedoch darin, ihn ein zweites Mal rumzukriegen.« Und sie ging vorbei an sämtlichen Anwesenden und zur Tür hinaus.
    Während sie draußen den Gang entlangeilte, nahm sie sich fest vor, Kevin Laine davon in Kenntnis zu setzen, dass sie, falls er eine gewisse Hofdame noch ein einziges Mal mit ins Bett nehme, zeit ihres Lebens nie wieder mit ihm reden würde.
    Als sie an ihrer Zimmertür angelangt war, hörte sie, wie ihr Name gerufen wurde. Ihren langen Rock über den Steinfußboden hinter sich herschleifend, kam Laesha ihr nachgeeilt. Jennifer musterte sie feindselig, doch die andere Frau war vor Lachen gänzlich außer Atem.
    »O je«, keuchte sie und legte die Hand auf Jennifers Arm, »das war grandios! Die Katzen in jenem Raum fauchen nur so vor Wut! Seit Jahren hat es Rheva niemand mehr so heimgezahlt.«
    Jennifer schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie, solange ich noch hier bin, sehr freundlich zu mir sein werden.«
    »Das wären sie ohnehin nicht gewesen. Ihr seid viel zu schön. Das und die Tatsache, dass Ihr neu hier seid, veranlasst sie garantiert, Euch für Eure bloße Existenz zu hassen. Und als Diarmuid gestern verkündet hat, Ihr wäret ihm vorbehalten, haben sie –«
    »Was hat er verkündet?« platzte Jennifer heraus.
    Laesha beäugte sie wachsam. »Nun, er ist der Prinz, und deshalb –«
    »Es ist mir egal, wer er ist! Ich habe nicht die Absicht, mich von ihm anfassen zu lassen. Wer glauben die denn, dass sie sind?«
    Laeshas Gesichtsausdruck hatte eine leichte Wandlung durchgemacht. »Ihr meint das ehrlich?« fragte sie zögernd. »Ihr wollt ihn nicht?«
    »Überhaupt nicht«, versicherte Jennifer. »Sollte ich denn?« »Ich will ihn«, gestand Laesha schlicht und errötete bis an die Wurzeln ihres braunen Haars.
    Es folgte ein verlegenes Schweigen. Jennifer wählte sorgfältig ihre Worte, als sie es brach. »Ich bin nur für zwei Wochen hier«, erklärte sie. »Ich werde ihn weder dir noch jemand anderem wegnehmen. Im Augenblick brauche ich vor allen Dingen eine Freundin.«
    Laeshas Augen waren weit aufgerissen. Sie atmete hastig ein. »Warum, glaubt Ihr, bin ich

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