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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Larai Rigals erzählte. Sie hatte die Stimme gesenkt, um ihr Gefolge, das sorgsam eingehaltene zehn Schritte vor und hinter ihnen ging, von der Unterhaltung auszuschließen, und nichts deutete darauf hin, wie viele Male sie dies schon hinter sich hatte.
    Langsam spazierten sie an jener Zeder vorbei, aus der sie an jenem Tag gefallen war, an dem ihr Bruder starb, am Vortag ihrer Ernennung zur Thronerbin. Und dann, als sie der Biegung des Pfades über die siebte Brücke an einem der Wasserfälle folgten, sah sie den riesigen Lyrenbaum an der Nordmauer.
    Hiernach unternahm Venassar von Gath unter Hüsteln und Schnauben ungelenk und verwirrt den vergeblichen Versuch, eine Unterhaltung wiederzubeleben, die vollkommen zum Stillstand gekommen war. Die Prinzessin an seiner Seite hatte sich in ein Schweigen gehüllt, das so umfassend war, dass ihre Schönheit sich wie eine Blüte verschlossen zu haben schien, zwar immer noch blendend, aber für ihn unzugänglich. Sein Vater, dachte er verzweifelt, würde ihm die Haut über die Ohren ziehen.
    Endlich erbarmte Sharra sich seiner und legte ihm behutsam die Hand auf den Arm, als sie soeben die neunte Brücke überquerten, den Rundgang beendeten und sich dem Pavillon näherten, in welchem Shalhassan ruhte, umgeben vom parfümierten Prunk seines Hofstaats. Die Geste ließ Venassar zu einer starren Puppe werden, dem gierigen Blick zum Trotz, den sie bei seinem Vater Bragon hervorrief, der unter den wedelnden Fächern der Bediensteten neben Shalhassan ruhte.
    Sharra erschauerte, als Bragons Blick auf ihr ruhte und sich das Lächeln unter seinem dunklen Schnurrbart vertiefte. Das war nicht das Lächeln eines potentiellen Schwiegervaters. Unter der Seide ihres Gewandes schrak ihr Körper vor dem Hunger in seinen Augen zurück.
    Ihr Vater lächelte nicht. Er lächelte nie. Sie verneigte sich vor ihm und zog sich in den Schatten zurück, wo man ihr ein Glas eisgekühlten M’Rae und eine Schale mit verschiedenen Sorten Fruchteis reichte. Als Bragon sich verabschiedete, sorgte sie dafür, dass er die Kälte in ihrem Blick bemerkte, dann lächelte sie Venassar zu und reichte ihm eine Hand, die er beinahe an seine Stirn zu drücken vergaß. Dem Vater wollte sie unmissverständlich zu verstehen geben, aus welchem Grund diese zwei nicht mehr nach Larai Rigal zurückkehren würden. Und ihr Ärger war beinahe zu offensichtlich.
    Dabei wollte sie, dachte Sharra bitter, während sie noch lächelte, doch nur noch einmal die Zeder erklettern, vorbei an jenem Ast, der unter ihr zerbrochen war, und sich, wenn sie ganz oben angekommen war, in einen Falken verwandeln, der ganz allein über den schimmernden See und die wunderbaren Gärten hinausfliegen konnte.
    »Ein Scheusal, und der Sohn ist ein unreifer Trottel«, bemerkte Shalhassan, wobei er sich zu ihr neigte, so dass nur die Sklaven, die nicht von Bedeutung waren, seine Worte hören konnten.
    »Das sind sie alle«, stimmte ihm seine Tochter zu, »entweder das eine oder das andere.«
     
    Der abnehmende Mond war spät aufgegangen. Von ihrem Fenster aus konnte sie ihn über dem östlichen Ausläufer des Sees emporsteigen sehen. Trotzdem verließ sie ihr Zimmer noch nicht. Es wäre nicht gut, pünktlich zu erscheinen; dieser Mann würde lernen müssen, dass eine Prinzessin von Cathal nicht zu einem Stelldichein eilte, wie es eine Dienstmagd aus Rhoden oder einer dieser nördlichen Gegenden tun mochte.
    Und doch schlug der Puls unter der zarten Haut ihres Handgelenks viel zu schnell. Mein Leben in Deinen Händen, ein unbedeutendes Ding, hatte er geschrieben. Und das stimmte. Sie könnte ihn gefangen nehmen und für seine Frechheit hinrichten lassen. Das könnte sogar einen Krieg auslösen.
    Was natürlich, sagte sie sich, unverantwortlich war.
    Shalhassans Tochter würde diesem Mann mit der Höflichkeit begegnen, die seinem Rang gebührte, und mit der Diskretion, die seine Leidenschaft von ihr verlangte. Er war unter großen Gefahren von weit her gekommen, um sie zu treffen. Er würde freundliche Worte aus den Gärten Cathals mit nach Norden zurücknehmen. Nichts weiter. Eine Anmaßung wie die seine hatte ihren Preis, und das würde Diarmuid von Brennin lernen müssen. Dagegen wäre es gut, dachte sie, wenn er ihr darlegte, wie er den Saeren überquert hatte. Das war von erheblicher Bedeutung für das Land, über das sie eines Tages herrschen würde.
    Sie schien ihre Atmung unter Kontrolle zu haben; ihr Puls raste nicht mehr gar so sehr. Das Bild des

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