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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Euch nachgegangen?«
    Diesmal lächelten sie einander an. »Sagt mir«, fragte Jennifer gleich darauf. »Gibt es irgendeinen Grund, warum wir hier drinnen bleiben müssten? Ich war überhaupt noch nie draußen. Könnten wir die Stadt besichtigen?«
    »Natürlich«, erwiderte Laesha. »Natürlich können wir das. Wir sind seit Jahren nicht mehr im Krieg.«
    Ungeachtet der Hitze war es außerhalb des Palastes angenehmer. In Gewänder gehüllt, die denen Laeshas glichen, bemerkte Jennifer, dass niemand wusste, dass sie eine Fremde war. Daraufhin fühlte sie sich wie befreit und schlenderte gemächlich an der Seite ihrer neuen Freundin dahin. Doch nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass ihnen ein Mann durch die staubigen, gewundenen Straßen der Stadt folgte. Laesha wurde ebenfalls darauf aufmerksam.
    »Er gehört zu Diarmuids Leuten«, flüsterte sie. Das war lästig, aber ehe er am Morgen aufgebrochen war, hatte Kevin ihr von dem toten Svart Alfar im Garten erzählt, und Jennifer hatte beschlossen, sich dies eine Mal nicht dagegen zu wehren, dass sie bewacht wurde. Ihr Vater, dachte sie, würde sich darüber amüsieren.
    Die beiden Frauen gingen eine Straße entlang, in der das Eisen der Schmiede auf den Ambossen dröhnte. Über ihren Köpfen lehnten sich die Balkons mehrstöckiger Häuser über die enge Gasse und verbannten hin und wieder sogar das Sonnenlicht daraus.
    An einer Kreuzung wandten sie sich nach links, und Laesha führte sie an einem offenen Platz vorbei, wo der Lärm und die Essensdüfte auf einen Markt hinwiesen. Als sie ihre Schritte verlangsamte, um ihn sich anzuschauen, sah Jennifer, dass für eine Zeit der Festlichkeiten außerordentlich wenig Feldfrüchte feilgeboten wurden. Laesha war ihrem Blick gefolgt und schüttelte den Kopf, dann ging sie weiter, eine enge Gasse entlang und blieb schließlich vor einer Ladentür stehen, durch die Ballen und Bündel von Stoffen zu sehen waren. Laesha, so schien es, wollte sich ein neues Paar Handschuhe kaufen.
    Während ihre Freundin den Laden betrat, ging Jennifer einige Schritte weiter, angezogen von kindlichem Lachen. Als sie das Ende der gepflasterten Gasse erreichte, sah sie, dass sie in einen weiten Platz mündete, in dessen Mitte sich eine mit Gras bewachsene Fläche befand, eher braun als grün. Und auf dem Gras spielten fünfzehn bis zwanzig Kinder eine Art Abzählspiel. Mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen hielt Jennifer inne, um ihnen zuzuschauen.
    Die Kinder hatten einen losen Kreis um die schlanke Gestalt eines Mädchens gebildet. Die meisten lachten, doch das Mädchen in der Mitte lachte nicht. Plötzlich machte es eine Handbewegung, und ein Junge trat mit einem Tuchstreifen vor und machte sich mit ebensolchem Ernst daran, dem Mädchen die Augen zu verbinden. Danach zog er sich wieder zu den anderen zurück. Auf sein Nicken hin fassten die Kinder einander bei den Händen und begannen, im Kreis zu gehen, in ein Schweigen gehüllt, das nach dem Lachen gespenstisch wirkte, und umliefen die reglose Gestalt, die mit verbundenen Augen in ihrer Mitte stand. Feierlich schritten sie dahin und voller Würde. Weitere Menschen waren stehen geblieben, um zuzusehen.
    Dann hob das Mädchen mit den verbundenen Augen plötzlich den Arm und zeigte auf den sich drehenden Kreis. Seine helle, deutliche Stimme tönte über die Wiese:
     
    Wenn das wandernde Feuer
    trifft auf das Herz aus Stein,
    wirst du dann folgen?
     
    Und beim letzten Wort kam der Kreis zum Stillstand.
    Der Finger des Mädchens war geradewegs auf einen untersetzten Jungen gerichtet, welcher ohne Zögern die Hände losließ, die ihn links und rechts festhielten, und in den Kreis trat. Der schloss sich wieder und setzte sich, immer noch schweigend, in Bewegung.
    »Ich werde nie müde, hierbei zuzuschauen«, bemerkte eine kühle Stimme hinter Jennifer.
    Sie drehte sich rasch um. Und war mit dem eisgrünen Augenpaar und dem langen roten Haar der Hohepriesterin Jaelle konfrontiert. Hinter der Priesterin konnte sie eine Schar graugewandeter Dienerinnen erkennen, und aus dem Augenwinkel gewahrte sie, wie Diarmuids Knappe sich besorgt näher heranschob.
    Jennifer nickte grüßend, dann wandte sie sich wieder den Kindern zu. Jaelle trat einen Schritt vor und stellte sich neben sie, wobei ihre weiße Robe über die Pflastersteine der Gasse schleifte.
    »Das Ta’kiena ist eines der ältesten Rituale, die wir kennen«, flüsterte sie Jennifer ins Ohr. »Seht euch die Zuschauer an.«
    Und in der

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