Silbermantel
Dunkelheit verlor, der Ring an ihrer Hand, der in ihrem Traum wie Feuer gebrannt hatte, und der Wind, der sich aus dem Gras erhob, durch die Steine pfiff.
»O Gott!« schrie sie auf. »Was hat das zu bedeuten, Ysanne?«
Die Seherin kehrte an ihren Platz neben dem Lager zurück und betrachtete mit ernstem Gesicht das Mädchen, das da lag und sich mit dem quälte, was ihm auferlegt war.
»Ich bin mir da nicht sicher«, entgegnete sie, »daher muss ich vorsichtig sein, aber hier bildet sich eine ganz bestimmte Struktur heraus. Weißt du, in deiner Welt ist er das erste Mal gestorben.«
»Wer ist gestorben?« flüsterte Kim.
»Der Krieger. Der, welcher immer stirbt, dem niemals Ruhe gegönnt wird. So lautet seine Bestimmung.«
Kims Hände waren ineinander verkrampft. »Warum?« »Ganz am Anfang seiner Existenz ist großes Unrecht geschehen, und aus diesem Grund findet er keine Ruhe. So heißt es in den Märchen und Liedern und Geschichtsbüchern einer jeden Welt, in der er gekämpft hat.«
»Gekämpft?« Ihr Herz pochte wild. »Natürlich«, erwiderte Ysanne, immer noch ganz sanft. »Er ist der Krieger. Welcher nur in äußerster Not gerufen werden darf, und nur mit Hilfe der Magie, und nur bei seinem Namen.« Ihre Stimme wehte durch den Raum wie der Wind.
»Und sein Name?«
»Den geheimen Namen kennt niemand, niemand weiß, wo man nach ihm suchen muss, doch es gibt einen anderen, der immer wieder genannt wird.«
»Und der lautet?« Sie stellte die Frage, obwohl sie ihn jetzt wusste. Und im Fenster leuchtete ein Stern.
Ysanne sprach den Namen aus.
*
Vermutlich tat er unrecht, indem er hier verweilte, aber die ihm erteilten Befehle waren nicht sehr genau gewesen, und er war nicht geneigt, sich von ihnen verwirren zu lassen. Sie alle waren wie berauscht davon, sich im Freien aufzuhalten, beinahe in Vergessenheit geratene Methoden der Tarnung anzuwenden, um den Verkehr von und nach Paras Derval im Auge zu behalten, den es wegen der Feierlichkeiten gab, und obwohl das ausgedörrte Land sie bei Tag in Schrecken versetzte, sangen sie des Nachts unter dem unverhüllten Geglitzer der Sterne ihre ältesten Lieder.
Er hatte obendrein einen persönlichen Grund, hier zu warten, auch wenn er wusste, dass diese Verzögerung sich nicht bis in alle Ewigkeit aufrechterhalten ließ. Nur einen Tag noch, hatte er sich versprochen, und er empfand ungeheure Freude darüber, die zwei Frauen und den Mann den Hang oberhalb des Dickichts erklimmen zu sehen.
*
Matt in seiner stillen Art wirkte beruhigend auf sie. Kim befand sich in guten Händen, und obwohl er nicht wusste, wohin Diarmuids Schar aufgebrochen war – so sei es ihm sogar lieber, fügte er hinzu und zog eine Grimasse –, erwarte man sie doch noch am gleichen Abend zurück. Loren, versicherte er ihr, war in der Tat auf der Suche nach Dave. Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung mit der Hohepriesterin vor zwei Tagen entspannte Jennifer sich ein wenig.
Von den ungewöhnlichen Ereignissen stärker beunruhigt, als sie zugeben mochte, hatte sie den vergangenen Tag mit Laesha zusammen ohne große Aufregungen verbracht. In Jennifers Zimmer hatten die beiden, die soeben erst zu Freundinnen geworden waren, sich Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Es war, überlegte Jennifer, irgendwie leichter, sich Fionavar auf diese Weise zu nähern, als sich hinaus in die Hitze zu begeben und sich mit Dingen auseinanderzusetzen wie den Gesängen der Kinder auf der Wiese, der schwankenden Axt im Tempel oder gar Jaelles kalter Feindseligkeit.
Nach dem Bankett an jenem Abend wurde getanzt. Sie hatte sich auf einige Schwierigkeiten im Umgang mit den Männern gefasst gemacht, doch am Ende musste sie sich eingestehen, dass sie sich über die vorsichtige, beinahe ängstliche Wohlanständigkeit jener amüsierte, die mit ihr tanzten. Frauen, auf die Prinz Diarmuid Anspruch erhoben hatte, waren offenbar für alle anderen unantastbar. Sie hatte sich früh entschuldigt und war zu Bett gegangen.
Und von Matt Sören wieder aufgeweckt worden, der an ihre Tür klopfte. Der Zwerg widmete ihr den ganzen Vormittag, war ein aufmerksamer Führer durch den riesigen Palast. In seinen groben Gewändern und der Axt, die an seiner Seite baumelte, war er in den Hallen und Gemächern des Schlosses eine gänzlich von der Norm abweichende Gestalt. Er zeigte ihr Räume mit Wandmalereien und solche mit Einlegearbeiten im Fußboden. Überall gab es Wandbehänge. Allmählich wurde ihr klar, dass ihnen hier eine tiefere
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