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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Bedeutung zukam. Sie kletterten auf den höchsten Turm, wo die Wachen Matt mit unerwartet viel Ehrerbietung begrüßten, und als sie hinabschaute, sah sie das Großkönigtum in der sommerlichen Hitze schmoren. Dann geleitete er sie zurück in den nun menschenleeren Großen Saal, wo sie ungestört die Delevansfenster betrachten konnte.
    Während sie einmal den Saal umrundeten, erzählte sie ihm von ihrer Begegnung mit Jaelle vor zwei Tagen. Der Zwerg zwinkerte mit den Augen, als sie ihm erklärte, wie sie zur Gastfreundin ernannt worden war, und dann noch einmal, als sie Jaelles Fragen über Loren schilderte. Doch wieder beruhigte er sie.
    »Sie ist ganz Boshaftigkeit, Jaelle, ganz Schlauheit und erbitterte Boshaftigkeit. Aber sie ist nicht böse, bloß ehrgeizig.«
    »Sie hasst Ysanne. Sie hasst Diarmuid.«
    »Ysanne dürfte sie in der Tat hassen. Diarmuid … er ruft bei den meisten starke Gefühle hervor.« Der Mund des Zwerges verzog sich zu dem für ihn typischen verlegenen Lächeln. »Sie ist darauf aus, jedes Geheimnis zu kennen, das es gibt. Möglicherweise hegt Jaelle den Verdacht, dass wir eine fünfte Person dabeihatten, aber selbst wenn sie sich dessen sicher wäre, würde sie es Gorlaes – einem Mann, vor dem man sich tatsächlich in acht nehmen muss – nie und nimmer sagen.«
    »Ihn haben wir doch kaum zu Gesicht bekommen.« »Er ist beinahe ständig in Ailells Nähe. Was auch der Grund dafür ist, dass man sich vor ihm fürchten muss. Das war für Brennin ein finsterer Tag«, erklärte Matt Sören, »als man den älteren Prinzen fortgeschickt hat.«
    »Der König hat sich daraufhin Gorlaes zugewandt?« erriet Jennifer.
    Der Blick, den der Zwerg ihr zuwarf, war durchdringend. »Du bist klug«, anerkannte er. »Genau das ist nämlich geschehen.«
    »Was ist mit Diarmuid?«
    »Was soll denn schon sein mit Diarmuid?« wiederholte Matt in einem Tonfall, der so unerwartet gereizt war, dass sie laut auflachte. Gleich darauf stimmte auch der Zwerg in ihr Gelächter ein, mit einem Kichern, das aus den Tiefen seiner Brust hervorbrach.
    Jennifer lächelte. Matt Sören strahlte solide Kraft aus, vermittelte ihr ein Gefühl tiefverwurzelter Vernunft. Seit sie erwachsen geworden war, vertraute Jennifer Lowell kaum jemandem völlig, vor allem Männern nicht, aber der Zwerg, wurde ihr in diesem Augenblick klar, war nun einer der wenigen. Seltsam, wie das ihrem Selbstwertgefühl gut tat.
    »Matt«, sagte sie, als ihr ein Gedanke kam, »Loren ist ohne dich fortgegangen. Bist du etwa unseretwegen hier geblieben?«
    »Nur um ein Auge auf die Vorgänge zu haben.« Indem er auf die Klappe über seinem rechten Auge deutete, machte er eine Art Scherz daraus.
    Sie schmunzelte, doch dann musterte sie ihn einige Zeit mit ernsthaften grünen Augen. »Wie ist das passiert?«
    »Im letzten Krieg gegen Cathal«, berichtete er schlicht. »Vor dreißig Jahren.«
    »So lange bist du schon hier?« »Länger. Loren ist jetzt seit über vierzig Jahren Magier.«
    »Na und?« Sie verstand den Zusammenhang nicht. Er erklärte sie darüber auf. Die Stimmung, in der sie sich an jenem Morgen beide befanden, hatte etwas Unbekümmertes an sich, und es war nicht das erste Mal, dass Jennifers Schönheit wortkarge Männer gesprächig machte.
    Sie hörte zu und nahm, genau wie Paul drei Nächte zuvor, die Geschichte von Amairgens Entdeckung der Himmelslehre in sich auf, ebenso die von dem geheimnisvollen Bund, der Magier und Quelle ein Leben lang zusammenschweißte und vollkommener war als je ein Bund auf irgendeiner der Welten.
    Als Matt zu Ende erzählt hatte, stand Jennifer auf, entfernte sich einige Schritte und versuchte, mit den Eindrücken fertig zu werden, welche die Geschichte bei ihr hinterlassen hatte. Dies war mehr als der eheliche Bund, dies berührte den Kern allen Seins. Aus dem, was Matt soeben gesagt hatte, ging hervor, dass der Magier ohne seine Quelle ein Nichts war, nichts als eine Fundgrube des Wissens, gänzlich machtlos. Und die Quelle …
    »Du hast auf all deine Unabhängigkeit verzichtet!« warf sie ein, indem sie sich wieder dem Zwerg zuwandte und ihm die Worte wie eine Herausforderung entgegenschleuderte.
    »Ganz und gar nicht«, widersprach er nachsichtig. »Auf einen Teil Unabhängigkeit verzichtet man natürlich immer, wenn man sein Leben mit einem anderen teilt. Hier ist bloß die Bindung tiefergehend, und es gibt Dinge, die einen dafür entschädigen.«
    »Aber du bist ein König gewesen. Du hast das aufgegeben –«

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