Silbermantel
das Gefühl haben, sie müssten –«
»Nein!« Es war ihr unerträglich, dass er auch nur einen Augenblick länger in diesem Raum verweilte, dass er fortfuhr, sie mit abschätzig geweiteten Augen anzusehen. »Ich werde dies mit Bashrai besprechen. Geh jetzt und tue, was ich dir befohlen habe. Und zwar schnell, Devorsh, schnell.«
»Ich gehe, Edle Herrin«, sagte er mit seiner unverwechselbaren Stimme und entfernte sich. Da biss sie sich auf die Zunge, bis sie Blut schmeckte, um bloß nicht zu schreien.
Shalhassan von Cathal ruhte auf einer Liege und sah dem Ringkampf zweier Sklaven zu, als ihm die Nachricht überbracht wurde. Sein Gefolge, genusssüchtig und überzüchtet, freute sich am Anblick der eingeölten Körper, die sich auf dem Fußboden der Audienzhalle wälzten, doch der König beobachtete den Kampf, als er die Neuigkeit erfuhr, ohne eine Miene zu verziehen.
In eben diesem Moment erschien Raziel im Torbogen hinter dem Thron mit einem Becher in der Hand. Zu der Zeit war es heller Nachmittag, und Shalhassan gewahrte beim Trinken, dass das juwelenbesetzte Trinkgefäß blau war. Und das hatte zu bedeuten, dass der Stein des Nordländers noch in der Farbe leuchtete, die ihm zugedacht war. Er nickte Raziel zu, der sich, nachdem sie nun ihr geheimes Ritual hinter sich gebracht hatten wie jeden Tag, wieder entfernte. Der Hof durfte nie, niemals erfahren, dass Shalhassan sich durch Träume von roten Wachtsteinen beunruhigen ließ.
Während er trank, wandten seine Gedanken sich wieder seiner Tochter zu. Er billigte ihre Eigenwilligkeit, hatte sie in der Tat selbst gefördert, denn auf dem Elfenbeinthron durfte kein Schwächling zu sitzen wagen. Wutanfälle allerdings waren nicht zu verantworten, und dieser neueste … Ihre Gemächer zu verwüsten und ihre Frauen auszupeitschen, das war eine Sache; Räume ließen sich wieder in Ordnung bringen und Diener waren Diener. Devorsh dagegen war eine andere Sache; er war ein guter Soldat in einem Land, das bemerkenswert wenige davon aufzuweisen hatte, und Shalhassan war alles andere als erfreut, zu hören, dass sein Hauptmann der Wache soeben von den stummen Dienern seiner Tochter erdrosselt worden war. Wie die Beleidigung auch aussehen mochte, die er ihr zugefügt hatte und auf die sie sich mit Sicherheit berufen würde, ihre Reaktion darauf war unbesonnen und vorschnell.
Er trank den blauen Becher aus und gelangte zu einer Entscheidung.
Sie wurde allmählich zu undiszipliniert; es war an der Zeit, sie zu verheiraten. Sie mochte eine noch so starke Frau sein, sie brauchte dennoch einen Mann an ihrer Seite und in ihrem Bett. Und das Königtum brauchte Erben. Es war höchste Zeit.
Der Ringkampf war inzwischen eine ermüdende Sache geworden. Mit einer Geste bedeutete er den Eidolathen, ihren Kampf zu beenden. Die beiden Sklaven hatten sich allerdings tapfer geschlagen, entschied er, und er gab ihnen beiden die Freiheit. Unter den Höflingen erhob sich höfliches Gemurmel, zustimmendes Rauschen seidener Gewänder.
Als er sich schon abwenden wollte, bemerkte er, dass einer der Ringkämpfer seine Huldigungsgesten ein wenig zu langsam ausführte. Möglicherweise war der Mann erschöpft oder verletzt, doch der Thron durfte nicht gefährdet werden. Zu keinem Zeitpunkt, auf keine Weise. Wieder hob er die Hand.
Es gab angemessene Verwendung für die stummen Diener und ihre Würgeeisen. Sharra würde lernen müssen, das richtig zu beurteilen.
Das Wissen um den nahenden Tod kann sich in mancherlei Gestalt zeigen, es kann als Segen vom Himmel herabsteigen oder als Schreckensbild aus dem Erdboden schießen. Es kann verletzen wie der Schlag einer Klinge oder dem Ruf des vollendeten Liebhabers gleichen.
Paul Schafer hatte sich aus freien Stücken hinbegeben, wo er sich jetzt befand, aus Gründen, die weniger offenkundig waren als der Verlust eines Menschen, und weniger einsichtig als das Mitgefühl für einen alt gewordenen König. Für ihn bedeutete die wachsende Erkenntnis, dass sein Körper dort am Sommerbaum nicht überleben konnte, eine Art Erleichterung: Dieses sein Versagen konnte wenigstens keine Schande sein. Es war nichts Unwürdiges daran, sich einem Gott zu opfern.
Er war aufrichtig genug, sich einzugestehen, dass seine Nacktheit bei dieser grauenvollen Hitze, der Durst und die erzwungene Bewegungslosigkeit allein schon ausreichten, ihn sterben zu lassen, und er hatte das von dem Augenblick an gewusst, als sie ihn festgebunden hatten.
Doch der Sommerbaum des
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