Silbermuschel
Oder hast du Angst vor mir?
Daß ich mich anklammere? Daß ich zuviel von dir fordere? Warum sollst du besser sein als andere Männer? Einsichtiger? Ehrlicher? Ich liebe dich, aber du hast nur so getan. Und reden kannst du auch, einer Frau alles mögliche vorgaukeln, du bist verdammt geschickt darin. Durchtrieben, würde Franca sagen. Sie hat dich sofort durchschaut, ich nicht. Ich hätte es begreifen müssen. Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich dann… mit dir ins Bett gegangen? Doch, ich wäre, ich konnte ja nicht anders, du gingst so durch den Raum, daß ich dich spüren konnte, und deinen Duft und deinen Geschmack habe ich jetzt noch in mir. Dein Körper ist wie ein Bild aus Licht und Schatten und kühl wie Seide.
Ich spüre dich in mir, ich begehre dich, ob du da bist oder nicht. Ich halte es nicht aus, es ist unerträglich.
Es gibt eine andere, hast du gesagt, aber das hat mit uns überhaupt nichts zu tun. Ja, das sagen alle Männer, und alle Frauen fallen darauf herein.
Vielleicht bist du jetzt bei ihr.
Es ist mir egal.
Ich liebe dich. Du wirst niemals wissen, wie ich dich liebe. Du wirst ein ewiger Schmerz bleiben, eine Süße, nachtschwarz wie dein Haar, ein Traum, den ich mit mir herumschleppen werde bis an mein Lebensende. Mein Leib geht in Flammen auf in der Erinnerung an dich, es ist eine Hitze in mir, die mich von innen verbrennt. Und eines Tages, vielleicht, wenn die Erinnerung an dich verblaßt, wenn sie immer weiter, immer unfaßbarer versinkt, dann werde ich in meiner Phantasie nicht mehr wissen, bin ich dir wirklich begegnet oder habe ich dich nur erträumt.
Ich hätte niemals nach Tokio fahren sollen. Aber jetzt ist es zu spät. Ich werde dich immer lieben.
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Ich trocknete mein nasses Gesicht, putzte mir die Nase, zog mir die Lippen nach. Noch etwas Parfüm. So. Und jetzt geh, Julie! Beiß die Zähne zusammen.
Schluck die Tränen hinunter. Zum Weinen wirst du noch Zeit haben.
Zurück in den Saal. Es war jetzt sehr warm. Es roch nach Essen, Tabak, Alkohol. Wie eine Schlafwandlerin bewegte ich mich zwischen den Tischen hindurch, kaum etwas sehend, nichts hörend, als ich gegen einen erhitzten Rücken prallte. Ich wich verstört zurück. Der Mann, der mir den Weg versperrte, drehte sich um. Ich starrte in Michaels Gesicht.
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14. KAPITEL
A lles um mich herum begann zu kreisen. Der Raum, die Fenster, die silbernen Kerzenhalter, die Tische mit ihren weinbefleckten Servietten, die Gäste, die ihre Stühle zusammenrückten, rauchten, tranken, lachten und redeten. Alles verschwamm vor meinen Augen, ich glaubte, ohnmächtig zu werden, doch ich hielt mich auf den Beinen. Er stand vor mir, so nahe, daß sein schwerer Atem mein Gesicht streifte. Er trug seinen schwarzen Rollkragenpullover, die Brille hatte er abgenommen. Seine Augen waren blutunterlaufen, ich merkte, daß er betrunken war, und gleichzeitig fielen mir zwei andere Dinge an ihm auf: Am Haaransatz war eine dicke, blutverkrustete Schwellung sichtbar, und seine linke Hand steckte in einem Verband.
Einige Atemzüge lang starrten wir uns an. Schließlich ging ein höhnisches Zucken über seine Lippen.
»Na, wie geht’s denn? Ich bin zwar nicht eingeladen, aber Charles meinte, ich könnte mich nach dem Dinner wohl blicken lassen.«
»Laß mich vorbei«, sagte ich tonlos.
»An mir vorbei? Dann geh doch«, sagte er spöttisch. »Ich halte dich nicht fest.
Was würde das denn für einen Eindruck machen? Nun geh schon!«
»Nicht, wenn du da stehst«, sagte ich.
»So? Hast du etwa Angst vor mir? Was befürchtest du denn, Darling? Daß ich dich beschimpfe? Dich schlage?«
»Geh mir aus dem Weg!« sagte ich.
Er verzog hämisch den Mund.
»Ich bin ja gerade erst gekommen. Deine Freunde werden dich wohl ein paar Minuten entbehren können. Ich habe mit dir zu reden.«
Er sah mir ins Gesicht. In seinen Augen erkannte ich die Grausamkeit eines Menschen, der ständig in kaltem, gefährlichem Mißtrauen lebt, das er mit Wohlerzogenheit zu überdecken versucht. Und nicht nur das: Die polierte Außenseite seines Wesens verbarg eine rücksichtslose, pornographische Gewalt, die in Haß und Zerstörung mündete. Zitternd setzte ich mich in Bewegung, ging langsam rückwärts, während er mir nachrückte. Überall standen oder saßen Leute.
Ich konnte nicht weiter, mußte stehenbleiben. Er griff nach meiner Schulter. Ich starrte seine Hand an. Tief in mir brodelte etwas, dunkel und heiß.
»Rühr mich nicht an«, zischte ich, »oder ich
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