Silbermuschel
vertrauensvollem Lächeln las ich den Grad der Übereinstimmung, den wir erreicht hatten.
»Es ist nicht leicht, das alles zu ertragen. Aber man bekommt allmählich, von einem einsamen Abend zum anderen, Übung darin. Und schließlich wird es zur Gewohnheit.«
»Ich kenne das«, sagte ich tonlos. »Wir wissen genau, daß wir uns etwas vorgemacht haben. Wir sind allein und werden, scheint es, damit fertig. Es ist wie eine Staubschicht, die sich auf unsere Gefühle legt. Wir denken, es wird immer so bleiben. Und dann doch nicht. Niemals. Plötzlich bebt die Erde, der Himmel bricht auseinander, ein Blitz fährt mitten durchs Herz…«
Ich stockte, biß mir hart auf die Lippen.
»Entschuldigen Sie, ich übertreibe…«
Noriko sah mich kurz an, bevor sie die Lider senkte; ein kaum angedeutetes Lächeln verklärte ihre herben Züge.
»Ich würde es genauso empfinden. Ach, wie glücklich Sie doch sind!«
Meine Kehle wurde plötzlich eng, so daß ich kaum sprechen konnte.
»Ich weiß nicht, ob ich glücklich bin. Vielleicht habe ich mir alles nur ausgedacht.«
Noriko hob die Augen, bezog mich in ihr Lächeln ein. Es war ein seltsames Lächeln, stolz, trotzig und unendlich lieb.
»Das, was wir uns wünschen, geschieht. Vorausgesetzt, daß wir ganz fest daran glauben. Ich habe zuviel Selbstmitleid. Und ich weiß auch nicht genau, was ich will.«
Plötzlich hatten wir uns nichts mehr zu sagen und sahen uns die Leute an. Eine Blonde mit extravaganter Lockenfrisur, in einem Hosenanzug aus Goldlamé, unterhielt sich mit einem japanischen Reporter, der unter seinen Vollbart eine rotseidene Frackschleife gebunden hatte. Ein schlanker, gutaussehender Japaner blieb vor Noriko stehen und grüßte. Noriko stellte ihn als Masao Oshima vor, Leiter einer Schweizer Bankniederlassung in Tokio. Er lächelte mich hinter seinen Brillengläsern an, und ich sah in seinen Augen den warmen Schimmer, der bei manchen Japanern erst dann zum Vorschein kommt, wenn sie nach einigen Gläsern Alkohol ihre Zurückhaltung loswerden. Sein Englisch war wohltuend »britisch«.
175
»Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Bekannten, Peter Brunner.«
»Peter? Ich kenne ihn nicht sehr gut, wissen Sie. Ich habe ihn auf der Messe zum erstenmal gesehen.«
»Letztes Jahr habe ich ihn in der Schweiz besucht«, erzählte Oshima. »Er hat mich ein bißchen rumgeführt. Ich fahre im Herbst wieder hin. Darf ich Sie fragen, aus welchem Kanton Sie stammen?«
»Ich wohne in der Schweiz«, sagte ich, »aber ich bin Französin.«
»Gefällt es Ihnen in Tokio?«
»Ich liebe Tokio«, antwortete ich.
Seine Augen schlossen sich leicht hinter den Brillengläsern. Es war, als ob er mich noch intensiver ansah.
»Vielen Dank«, sagte er, als fühle er sich persönlich geschmeichelt. »Sie haben das Wort Liebe sehr bewußt ausgesprochen. Nicht wie irgendwas anderes auch, sondern, als ob sie kein besseres wüßten.«
Ich wandte mein Gesicht ab und lächelte.
»Ach, finden Sie?«
Ein schwaches Gedränge machte sich bemerkbar. Im Raum wurde es plötzlich still. Scheinwerfer und Blitzlichter flammten auf. Unter dem Auge der Videokamera näherte sich der Schweizer Botschafter dem Mikrofon, das einige Pfeiflaute von sich gab, bevor der Ton richtig eingestellt war. Der Botschafter sprach frei, nahm zwischendurch seine Brille ab, schwenkte sie am Bügel und setzte sie wieder auf. Er sagte das Übliche, sprach von dauerhafter japanischschweizerischer Freundschaft, von der Schweiz als sicherem Geschäftspartner. Ich fühlte, wie meine Aufmerksamkeit nachließ, nahm alles nur noch halb wahr. Das Warten brachte Sehnsucht, Zittern, Erschrecken. Jedesmal, wenn der Aufzug hielt und die Türen auseinanderglitten, klopfte mein Herz. Und jedesmal die gleiche, lähmende Enttäuschung. Ich glaube nicht, daß ich das noch lange aushalten kann, ging es mir durch den Kopf.
Höflicher Beifall. Jetzt war der Präsident der japanischen Handelskammer an der Reihe. Lackschwarzer Bürstenschnitt, ein rundes Gesicht, eine goldene Brille.
Er verbeugte sich gemessen, räusperte sich ein paarmal. Seine Rede hielt er auf japanisch. Eine Dolmetscherin im blauen Kostüm stand schräg hinter ihm und übersetzte mit artiger Kleinmädchenstimme, ihre Hände höflich gefaltet. Ich ließ den Aufzug keine Sekunde aus den Augen. Ken mußte jeden Moment da sein.
Wenn ich nur lange genug hinstarrte, würde ich ihn nicht übersehen. Er würde auf mich zukommen, mich bei den Schultern nehmen, mich küssen.
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