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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gewesen – doch nur vorübergehend –, weil mich meine Eheprobleme sowie meine Affäre mit Antonia wesentlich mehr beschäftigten.
    Und ausgerechnet jetzt, in Takayama, machte ich mir wegen Isami Sorgen. Ich kannte meine Schwester aus dem Instinkt heraus, und der war verläßlicher als stundenlanges Kopfzerbrechen. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr. Ich hätte meine Unruhe nicht zu schnell vergessen sollen. Ich rief Isami ein paarmal vom Hotel aus an. Sie war nicht da. Ich erinnerte mich, daß sie im Atelier keinen Telefonanschluß hatte. Zu Hause arbeitete sie oft die halbe Nacht durch, wobei sie Musik hörte.
    Demnach stellte ich den Wecker auf drei Uhr nachts und rief an. Vergeblich.
    ›Nun beruhige dich doch‹, sagte Midori, ›sie ist sicher für ein paar Tage verreist. Bei dieser Hitze!‹
    Ich löschte das Licht, drehte mich auf die andere Seite und schlief bald wieder ein. Kurz vor Tagesanbruch erwachte ich mit klammer Haut. Ich hatte von gewissen Dingen geträumt, die mir nicht gefielen. Bilder, die mich jahrelang verschont hatten, zogen an meinem inneren Auge vorbei wie ein Film: kreisende Wolken, zehntausend Meter hochgeschleudert, ein Klumpen Gedärme, ein totes Pferd unter der messingfarbenen Augustsonne. Ich atmete schnell und fühlte meinen Herzschlag. Mein Verstand ließ sich durch Signale aus dem Unterbewußtsein nur widerwillig aufrütteln, bestritt immer noch die Zusammenhänge von Emotionen. Wütend sagte ich mir, daß Träume keine Hinweise gaben und eingebildete Befürchtungen sich verflüchtigen würden, sobald das Tageslicht hinter den geschlossenen Vorhängen schimmerte.
    Aber die Bilder waren einfach da, mit meinem Denken verwachsen, ließen sich weder leugnen noch wegbrennen.
    Zwei Tage später waren wir wieder in Tokio. Die Schwiegermutter war schon da mit Norio. Ich spielte eine Weile mit ihm, gab ihm die Geschenke – kleine Tiere und Gegenstände aus Holz –, die wir in Souvenirläden gekauft hatten. Dann ging ich in mein Arbeitszimmer, schloß die Tür hinter mir und wählte Isamis Nummer.
    Diesmal nahm sie den Hörer ab. Mit unsäglicher Erleichterung vernahm ich ihre Stimme.
    ›War es schön in Takayama?‹ fragte sie. ›Wann bist du zurückgekommen?‹
    ›Vor einer Stunde. Und es war wie üblich. Ich habe dich mehrmals angerufen.
    Sogar nachts. Warum warst du nicht da?‹
    ›Du fragst wie ein Polizist. Oder wie ein Liebhaber, wenn dir das besser gefällt.‹
    Sie sprach nicht anders als sonst, aber ihre Stimme klang dumpf; ich versuchte, diese Stimme wirklich zu hören. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
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    ›O-Neesan, ist etwas nicht in Ordnung?‹
    ›Wie kommst du darauf?‹
    ›Ich denke, das mit dir etwas nicht stimmt, weil ich dich kenne. Ich spüre es, deshalb.‹
    Sie lachte leise. Und erstickte gleich darauf einen Hustenanfall.
    ›Du hast Fortschritte gemacht‹.
    ›Nein. Es bleibt alles beim alten. Und ich habe schlecht geträumt.‹
    Ich brauchte ihr nicht zu sagen, was ich geträumt hatte. Es war unsere besondere Weise, daß wir unser Wesen, unsere Gegenwart miteinander teilten.
    Schweigen. Ich hörte sie atmen. Dann sagte sie:
    ›Es ist schon lange nicht mehr vorgekommen, nicht wahr, Kenchan?‹
    Ich schluckte würgend.
    ›O-Neesan, bist du krank?‹
    ›Ein wenig erkältet. Das macht die Klimaanlage. Kommst du morgen vorbei?‹
    ›Gleich nach der Arbeit‹, sagte ich.
    Es war nicht nötig, daß sie weitere Erklärungen abgab. Meine Wahrnehmung sagte mir alles. Ich wußte, daß ich mich dem stellen mußte, was auch immer es war. Es erschreckte mich zutiefst; nach dem Essen nahm ich ein paar Drinks, doch es wurde nicht besser, und in der Nacht konnte ich nicht schlafen. Mich erwartete ein anstrengender Tag im Büro, also schluckte ich zwei Schlaftabletten, was ich sonst nie tat. Ich schlief wie ein Stein; als Midori mich wachrüttelte, war ich immer noch benommen. Später, im Büro, hatte ich starke Kopfschmerzen. Ich schob die Schuld für das taube Gefühl auf das Schlafmittel, das mich schwerfällig denken und ungeschickt handeln ließ. Ich saß in meinem Drehsessel hinter dem Bildschirm; Schultern und Genick waren verkrampft, der Schmerz pochte in meiner Stirn. Später hatten wir eine Besprechung mit den Abteilungsleitern, die Stunden dauerte. Die Klimaanlage lief auf vollen Touren, ich fror und schwitzte gleichzeitig, trank würgend Kaffee. Der Abstand zwischen mir und der restlichen Welt nahm zu. Meine Stimme sprach irgendwelche Worte, ich starrte

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