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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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die Stunden totzuschlagen? Und ob du jetzt ein paar Augenblicke länger da bist oder nicht, ist unwichtig. So, und jetzt geh! Ich habe zu 398
    tun.‹
    Sie schob mich aus der Wohnung. Die Tür wurde von einer Feder geschlossen gehalten und schlug daher mit einem Knall zu, als sie ihrer Hand entglitt. Ich stand draußen im Gang, unter der prallen Sonne. Verflucht noch mal, dachte ich. Was ist denn eigentlich schiefgelaufen? Ich rüttelte an dem Türknopf.
    ›Antonia! Mach auf! Es tut mir leid, wenn ich etwas falsch gemacht habe.
    Komm, laß uns über alles reden.‹
    Im Zimmer regte sich nichts. Ich wußte, daß sie jedes Wort hörte, schlug dann mit beiden Fäusten an die Tür. Immer noch Stille. Aus dem Fenster im Nebenhaus lugte ein Frauenkopf und zog sich wieder zurück. Ein Halbwüchsiger, der sein Fahrrad unter die Treppenstufen stellte, starrte neugierig zu mir empor. Ich benahm mich wie ein Idiot. Antonia gab keinen Laut von sich. Ich wußte, ihr Schweigen war endgültig. Nach ein paar Minuten zog ich ab, stapfte schwerfällig die Treppe hinunter. Ich ging in der Gluthitze bis zum Straßenende und bog um die Ecke. Vor dem Bahnhof brauste der Verkehr. Hohe Fassaden zu beiden Seiten der Straße, blitzende Windschutzscheiben, überfüllte Busse, knatternde Motorräder. Verflucht, dachte ich immer wieder, verflucht, verflucht. Wie konnte ich mit meinem Leben so umgehen? Das Spiel führte doch zu nichts. Und wenn Antonia nun recht hätte?
    Wenn ich sie wirklich nur als Objekt benutzt hatte? Wie konnte ich einen anderen Menschen achten, wenn ich nicht selbst zur Unabhängigkeit gelangt war? Isami hatte schon recht: Ich war frei geboren worden. Handschellen und Fesseln hatte ich mir selbst angelegt, und nun wußte ich nicht, wie ich sie loswerden konnte. Ich hatte von Antonias Klugheit profitiert, ihr Herz aber niemals ergründet.
    Weil ich mich nicht darum bemüht hatte. Ich hatte von ihr nur genommen, von ihrer Weisheit und ihrem Wissen, ihrem Verständnis und ihrer routinierten Erotik.
    Und dabei immer nur mein eigenes Interesse im Kopf gehabt. Noch bis zum letzten Augenblick hatte ich nur zu fragen gewußt: Was soll ich tun? Keine Sekunde lang war mir der Gedanke an sie, an Antonia, gekommen. Ich hatte nicht gemerkt, daß sie Zuwendung brauchte. Denn auch in ihr lebte die Sehnsucht nach der Süße des Lebens, dem gelobten Land, wo Milch und Honig fließen. Zwar trug sie einen Geist in sich, der sie beschützte, dem sie auf der Bühne begegnete, wenn sie tanzte.
    Und jeder Augenblick dieser Anwesenheit war für sie ein unermeßlicher Schatz.
    Aber das genügte nicht. Sobald der Vorhang fiel, blieb sie allein. Sie konnte nicht sagen, womit sie ihre Tage füllen sollte, und vor ihr lagen Jahre. Am Ende war sie eine Frau, die einsam war. Ich egozentrischer Dummkopf hatte das alles nicht gesehen. Ich hatte ihr lediglich die Umarmung meines Körpers geschenkt, ohne das lauschende Mitgefühl und ohne die Bereitschaft, zu lieben und zu verstehen. Ich war nicht gut zu ihr gewesen.
    Ich sah vor mir die Straße, endlos, die vierfache Wagenkolonne in gelben Staub gehüllt, und darüber der Himmel, klar und blau. Beim Gehen starrte ich immer auf den gleichen Punkt, zwang meine Augen, das feste Blau zu durchdringen, wie um 399
    zu sehen, was dahinter läge. Doch da war nichts – nichts, was ich sehen oder begreifen konnte. Dann versank die Sonne in jähem Sturz, und mein Körper krampfte sich zusammen. Eine kurze violette Dämmerung: Schon legte sich die Dunkelheit über alles, wie ein fallendes Tuch, während Millionen bunter Lichter zu glitzern und zu pulsieren begannen. Ein Licht für jeden Menschen, der in Tokio einsam war und litt.
    Ich stieß die Tür zu einer Bar auf und setzte mich an die Theke. Ich bestellte Whisky pur, ohne Wasser, nur mit etwas Eis. Fast zwei Stunden lang klebte ich auf meinem Hocker, rauchte eine Zigarette nach der anderen und betrank mich. Und als ich stockbetrunken war, nahm ich meine Zigarette aus dem Mund, betrachtete ganz intensiv die glühende Spitze. Dann lockerte ich meine teure Markenkrawatte
    – ein Geschenk von Midori –, hielt die Zigarette an die Seide und brannte ein Loch hinein. Und dann ein zweites, ein drittes. Die Mamasan, die mich schon eine Weile lang im Auge hatte, verschwand für kurze Zeit und kam mit einem Mann zurück, der kein freundliches Gesicht machte. Ich hielt die Zigarette im Mundwinkel und starrte ihn, Rauch ausstoßend, herausfordernd an. Dann fummelte ich nach

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