Silbermuschel
gekauft. Ich nahm es aus der Jackentasche und gab es ihr. Sie öffnete das Päckchen. Es war eine japanische Übersetzung von Antonin Artauds Le Théâtre et son double.
›Ein bißchen was zum Lesen‹, sagte ich. ›Für unterwegs.‹
Sie bedankte sich; doch ihre Lippen kräuselten sich auf seltsame Art. Ich reichte ihr die Zigarette.
›Ich habe viel nachgedacht in letzter Zeit. Ich sehe jetzt manches anders als früher. Aber was soll ich tun?‹
Die U-Bahn rasselte vorbei. Antonia inhalierte sehr langsam.
›Du tust doch schon was. Du denkst nach.‹
Ich nahm einen Schluck Bier.
›Und wie geht es weiter?‹
›Du weißt jetzt, woran du bist‹, sagte sie. ›Es muß weitergehen, in irgendeine Richtung‹.
›Was, wenn es die falsche ist?‹
›Dann änderst du die Richtung.‹
Sie ließ die Zigarette im Mundwinkel hängen, faltete das Geschenkpapier zusammen, wobei sie es mit der Handfläche glättete. Ich lag neben ihr, auf den Ellbogen gestützt. Die andere Hand hob ich und schob ihre Träger von den nackten Armen. Auf ihrem Hals zeichneten sich die Muskelstränge ab, doch ihre Brüste waren zart und kindlich. Ich streichelte ihre warme, etwas klamme Haut. Sie rührte sich nicht. Ich strich über ihre Schenkel, legte mein Gesicht auf ihren Schoß und begann, ihre Shorts aufzuknöpfen. Sie legte ihre Hand auf meine.
›Nein.‹
Ich sah zu ihr hoch.
›Du willst nicht?‹
Sie stieß den Rauch aus der Nase.
›Es ist vorbei.‹
›Kein letztes Mal mehr?‹ frage ich.
Sie drückte die Zigarette aus. Ich fühlte die Heftigkeit hinter ihrer beherrschten Bewegung.
›Wozu?‹
Meine Finger schlossen sich um ihre Brustwarzen.
›Komm doch! Ich möchte so gern.‹
›Es ist sinnlos‹, sagte sie.
›Weil du morgen abreist?‹
›Meinetwegen auch deshalb. Auch das ist ein Grund, nicht wahr?‹
Sie stieß meine Hand weg, zog die Träger wieder über ihre Schultern. Dann federte sie auf die Fersen zurück und erhob sich. Sie blickte auf mich herab mit abweisendem, fast hartem Ausdruck.
›Es ist besser, du gehst jetzt.‹
397
Ich trank mein Bier aus, nahm meine Jacke und stand auf. In meinem Gehirn war ein Kurzschluß. Schweigend ging sie mit mir zur Tür. Sie hatte immer noch dieses herbe Gesicht, das Gesicht einer Bäuerin auf dem Feld. Ich schlüpfte in meine Schuhe, und sie legte die Hand auf den Türknopf. Mir fiel immer noch nichts ein, was ich sagen konnte. Wir schwiegen beide. Schließlich wurde es mir zu bunt.
›Kannst du mir sagen, was eigentlich zwischen uns los ist?‹
Sie starrte an mir vorbei.
›Es kam mir nur gerade in den Sinn, daß du nur zu mir gekommen bist, weil du etwas von mir wolltest. Ich habe dir gegeben, was ich hatte. Vielleicht hast du dabei etwas gewonnen. Mehr gibt es nicht.‹
›Es war schön mit dir‹, sagte ich.
›Aber jetzt bist du froh, daß ich gehe‹, sagte sie. ›Ein Mann, der eine Frau liebt, hält sie fest.‹
Die U-Bahn donnerte am Fenster vorbei. Die Schatten der Wagen huschten durch den Raum.
›Wie könnte ich das?‹ fragte ich, als es still wurde. ›Du hast doch deine Engagements.‹
Sie nickte wortlos.
›Also, wieso denn?‹
Sie warf ihr verschwitztes Haar aus der Stirn.
›Du hast überhaupt nichts begriffen. Das Weggehen ist nur das eine, das Äußerliche. Es hätte mir einfach gutgetan, wenn du mir ein einziges Mal gesagt hättest: Du wirst mir fehlen, ich sehne mich nach einem Wiedersehen. Hat dir schon einmal eine Frau gesagt, daß etwas wie ein Schmerz zurückbleibt, wenn ein Mann sie einfach so gehen läßt? Nein? Natürlich nicht. Wir haben das miteinander getan, was man lieben nennt. Ich meine, du warst kein Mensch, mit dem ich es nicht gern tat. Im Gegenteil. Aber wenn wir zusammen im Bett lagen, blieb ich immer allein. Du hast mich nur benutzt, um deine Leere auszufüllen. Und vielleicht hast du niemals mich, sondern nur meine Maske gesehen.‹
›Warum hast du mir das alles nicht vorher gesagt?‹ fragte ich.
Sie lachte kurz und bitter auf.
›Muß ich dir eigentlich alles sagen? Das solltest du doch gefühlt haben. Aber das wirst du auch noch lernen.‹
›Wenn du wieder in Tokio bist‹, sagte ich, ›können wir uns ja von Zeit zu Zeit treffen‹.
›Wenn ich wieder in Tokio bin‹, erwiderte sie, ›wirst du Tausende von Kilometern von hier fort sein. Und das, was du bei mir suchtest, wird dir in meiner Abwesenheit vielleicht klarer. Denn was wäre ich denn für dich gewesen, wenn du nur mit mir schliefst, um
Weitere Kostenlose Bücher