Silbermuschel
einem Streichholz, zündete es mit ungeschickten Fingern an und hielt die Flamme an die Spitze der Krawatte. Ein Flämmchen züngelte empor, und es roch nach verbranntem Garn. Alle Leute in der Bar glotzten jetzt zu mir herüber; es war offensichtlich, was sie sich dabei dachten. Die Krawattenspitze schrumpfte schnell ein, ein paar Fünkchen brannten mir auf der Haut und brachten mich zur Besinnung. Ich zerrte mir die Krawatte vom Hals und steckte sie in den Flaschenkühler. Der Mann hinter der Theke nahm den Flaschenkühler ohne Aufregung weg. Er sagte, ich wünsche doch sicherlich keine Scherereien, und er wünsche sie auch nicht. Und es wäre wohl besser, wenn ich allmählich nach Hause ginge, und ob er jetzt – bitte schön – meine Kreditkarte sehen könne. Er sprach in ruhigem Ton, und ich merkte an seinem Blick, daß er in diesen Dingen kein Anfänger war. Also fischte ich die Kreditkarte aus meiner Brieftasche und warf sie ihm über die Theke ins Gesicht. Er fing sie mit präziser Handbewegung auf, verbuchte mir eine halbe Whiskyflasche und setzte mich dann an die Luft.«
400
27. KAPITEL
»I m August wurde es in Tokio sehr heiß«, erzählte Ken. »Schon morgens um sieben hatten wir sechsundzwanzig Grad. Und achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit.
Ich nahm mir ein paar Tage frei und fuhr mit Midori nach Takayama. Norio blieb bei den Schwiegereltern. Takayama, ein Thermal-Kurort in den Bergen, ist für seine schönen Holzhäuser und für eine verfeinerte Wohnkultur bekannt. Das Klima dort ist sehr rauh; schon früh prägt der Winter die Gewohnheiten der Menschen, aber im Sommer ist der Aufenthalt ideal. Midori und ich badeten in den Thermalquellen, spielten Tennis und Golf. Der Urlaub war angenehm langweilig, wohltätig entspannend. Fast jede Nacht schmiegte Midori ihren biegsamen, in kühle Seide gehüllten Körper an den meinen. Ich erwiderte ihre Zärtlichkeit, war aber nur halb dabei; mein anderes Ich, das klar dachte, allzu klar, beobachtete ungerührt, wie wir uns umarmten. Eine Sache der Routine. Wie immer lag ein sehr großer Unterschied zwischen ihrem Verhalten im Bett und ihrem Benehmen tagsüber. Nachts erwartete sie, daß ich wie ein Rasender über sie herfiel, und beim Frühstück saß sie mir wieder stumm und damenhaft gegenüber, im eleganten Sportensemble und mit dezenter Perlenkette, jede Locke an ihrem Platz und das Gesicht vollendet geschminkt. In ihren kühlen Augen sah ich niemals eine Spur ihrer nächtlichen Leidenschaft. Natürlich sprachen wir von der Notwendigkeit, Norio nicht als verwöhntes Einzelkind aufwachsen zu lassen, aber meine innere Stimme warnte mich. Mir war inzwischen klar geworden, daß ich auf meinen kleinen Jungen nur wenig oder keinen Einfluß ausüben konnte. Mit liebevoller Disziplin, mit Liedern und Märchen und strengem Stundenablauf formte Midori seinen Charakter, prägte sein Wesen und preßte ihn in das Schema, das sie für angemessen hielt. Seine ganze Ausbildung hatte sie vorprogrammiert: vom Kindergarten bis zur Universität und darüber hinaus seine spätere Stellung in Beruf und Gesellschaft. Der künftige Mensch Norio war ihre Schöpfung. Und bei einem zweiten Kind würde es nicht anders sein. Ich hatte lediglich das nötige Geld abzuliefern. Und ein paar Tropfen Sperma im Bett.
Es war nichts dagegen zu machen: Unsere beiden Welten rückten auseinander.
Wenn man so will, hatte mich Midori bereits vor Jahren, bei Norios Geburt, im Stich gelassen. Sie verbarg ihre Selbstsucht hinter einem sanften Auftreten, perfektem Kleidergeschmack, tadellosem Golf spiel und konformistischen Gemeinplätzen, sofern sie in der Öffentlichkeit den Mund auftat. Daneben schlief sie gern mit mir und profitierte von dem angenehmen Leben, das ich ihr bieten konnte. Doch den Weg des Herzens fanden wir nicht zueinander, und auf unsere Umarmung folgte unausweichlich die Nüchternheit gemeinsamer Langeweile.
Ich hatte für gewisse Dinge einen sechsten Sinn, und aus irgendeinem Grund war ich nervös. Seit einigen Monaten – eigentlich seit ich ein Verhältnis mit Antonia hatte – waren meine Besuche bei Isami seltener geworden. Ich hatte sie 401
ein paarmal angerufen und mich im stillen über ihre abwesende Stimme gewundert. Wären meine Ohren damals hellhöriger gewesen, hätte ich merken müssen, das etwas nicht stimmte. Bei unserem letzten Gespräch hatte mir Isami erzählt, daß sie eine Zeitlang sehr müde gewesen sei und erst jetzt wieder malen könne. Ich war beunruhigt
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