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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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werden. Die Anfälle hatten sich in letzter Zeit häufiger und stärker eingestellt. Sie spürte Schmerzen in den Gelenken. Kürzlich, als sie von einer eiligen Besorgung zurückkam, hatten plötzlich ihre Beine versagt, und sie war mitten auf der Straße gefallen. Als dies ein zweites Mal passierte, veranlaßte der Arzt, bei dem sie schon seit Jahren in Behandlung war, ihre Einweisung in die Klinik und eine gründliche Untersuchung.
    ›Ich war vier Tage in der Klinik. Doktor Maeda wollte, daß ich blieb, bis alle Resultate aus dem Labor da waren.‹
    Sie nahm einen Schluck Tee. Ich hatte das Gefühl, daß ich zu Eis erstarrte.
    Gelassen sprach sie weiter. Der Befund war eindeutig: Knochenkrebs. Die Krankheit, eine Folge der Strahlungen, war bei ihr sehr spät zum Ausbruch gekommen.
    ›Doktor Maeda sagt, es sei ein Wunder, daß ich noch so lange gelebt habe, bei all den Strahlungen, die wir abbekommen haben. Du weißt ja, daß ich schon vorher in Tokio schwer krank war. Doktor Maeda hat dunkle Stellen auf meinen Lungen festgestellt, was auf eine verkapselte Tuberkulose schließen läßt. Und als das in Hiroshima geschah, war ich mitten im Wachstum. Du hast Glück gehabt, Kenchan, dein Immunsystem war besser ausgebildet. Immerhin muß ich zufrieden sein. Ich konnte für dich sorgen, als du noch ein Kind warst. Und ich hatte sogar Zeit, zu malen und ein paar Bücher zu schreiben‹.
    Ihr Gleichmut war plötzlich dahin. Sie legte ihre dünnen Hände übereinander und preßte sie so stark zusammen, daß die Fingerglieder knackten. Ich sah, wie ihre Unterlippe leicht bebte. Eine Minute lang war es so still im Zimmer, daß ich mich selber atmen hörte. Isami saß aufrecht wie immer, den Kopf hoch erhoben, die leichte Andeutung einer Welle in ihrem glänzenden, zurückgebundenen Haar.
    Ihr Gesicht war weiß und von einem Netz von Fältchen überzogen, die so dünn waren, daß man sie nur aus nächster Nähe bemerkte. Und auf einmal sah ich noch etwas anderes, etwas, das ich schon früher bei meiner Mutter gesehen hatte: eine leicht flackernde Lichthülle, die Aura des Todes. Sie währte kaum einen Atemzug lang und war wohl auch nur ein Trugbild meiner überreizten Nerven. Doch ich zitterte innerlich, weil ich es nicht ertragen konnte und zugleich wußte, daß ich es würde ertragen müssen. Panik stieg in mir hoch; ich versuchte, sie zu verbergen, bis mir klar wurde, daß es keinen Sinn hatte, Isami irgend etwas vorzumachen.
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    Schließlich brach ich unbeholfen das Schweigen. Meine Stimme hörte sich so heiser an, daß ein Schrei mich fast weniger erschreckt hätte.
    ›Hast du Schmerzen?‹
    ›Sie kommen und gehen‹, antwortete Isami. ›Ich schlucke Medikamente‹.
    Ich verdammter Idiot hätte es wissen müssen. Ihr ewiger Husten, ihre Magersucht, ihre blassen Lippen. Wären meine Augen nicht blind und meine Ohren nicht taub gewesen, dann hätte ich es erkennen müssen. Erstickende Gewissensbisse quälten mich. Den ganzen Sommer über war ich, stur und einseitig, mit mir selbst beschäftigt gewesen; ich hatte nicht bemerkt, daß meine Schwester todkrank war. Und nun war es zu spät. Ich sah zu ihr hin, wandte die Augen aber gleich wieder verlegen ab. Meine Worte klangen ebenso steif wie meine Haltung.
    ›Und warum hast du mir nie etwas davon gesagt?‹
    ›Wozu? Es hätte dich nur belastet‹.
    ›Ach‹, entgegnete ich bitter, ›bin ich so wenig belastbar?‹
    Sie hustete hinter vorgehaltener Hand.
    ›Nein. Aber ich wollte dein Leben nicht durcheinanderbringen.‹
    ›Mein Leben ist schon durcheinander genug. Hast du Brandy im Haus?‹
    Sie deutete auf den Schrank. Ich stand auf, holte die Flasche und brachte zwei Gläser mit, die ich auf den Tisch stellte. Ich hob die Flasche und sah Isami fragend an. Sie schüttelte den Kopf. Ich füllte sehr langsam ein Glas, aber ein paar Tropfen fielen trotzdem daneben. Isami reichte mir wortlos ein Kleenex. Ich wischte den Tisch ab.
    ›Wann gehst du in die Klinik?‹
    ›Dienstag in einer Woche.‹
    ›Für wie lange?‹
    ›Nicht für sehr lange, aber schon für eine Weile, nehme ich an.‹
    Man kann das Herz schlagen hören, wenn jeder Schlag so klingt, als ob jemand mit einem Stock an die Rippen klopft.
    ›Trink‹, sagte Isami.
    Ich nahm einen kräftigen Schluck. Der Brandy war süß und brannte stark. Isami sprach mit gleichmäßiger Stimme, als ob sie Worte aufsagte, die sie sich schon lange im voraus zurechtgelegt hatte.
    ›Grundstück und Haus lauten auf deinen

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