Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Nur einige Geschäftsleute mit aufgekrempelten Hemdsärmeln standen an der Bar.
    Die Band spielte Ohrwürmer aus den sechziger Jahren, vom hektischen Discotreiben um Lichtjahre entfernt. Auf der Tanzbühne überließen sich vereinzelte Paare steif dem Rhythmus. Alles wirkte sehr keusch, züchtig, beinahe langweilig. Es gab auch einige Frauen, die zusammen tanzten, knabenhaft schlank, mit kaum angedeuteten Hüften. Doch irgend etwas kam mir seltsam vor; ich hätte 89
    nicht sagen können, was es war. Meine Augen trafen auf die spöttischen Augen von Michael. Es lag Sarkasmus in diesem Blick, als er sein Glas hob und den Duft des Brandys einatmete. Seine wohlgezeichneten Nasenlöcher erweiterten sich und zogen sich wieder zusammen. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht.
    »Oh, der ist noch schlechter als das Zeug, das wir in den Staaten brauen. Eine Art einheimischer Whisky.«
    »Sind Sie viel unterwegs?« fragte ich.
    »Ein paar Mal im Jahr. Ich schreibe Sachbücher und Essays. Daneben leite ich ein kleines Reisemagazin. Meine Frau ist auch Amerikanerin. Wir haben uns in Paris kennengelernt. Jetzt leben wir in Houston.«
    »Haben Sie Kinder?«
    Er zog eine Brieftasche hervor, zeigte mir das Bild von zwei blonden Jungen im Vorschulalter.
    »Peter und Richard. Nette kleine Kerle. Sind wahrscheinlich wieder ein Stück gewachsen. Und Sie? Haben Sie Kinder?«
    Ich verneinte stumm.
    Michael steckte die Brieftasche weg und nahm erneut einen Schluck. »Ann hat mir die Reise nach Japan übelgenommen. Sie konnte nicht mit, der Kinder wegen.
    Jetzt glaubt sie, daß ich jede Nacht mit einer anderen Frau schlafe.«
    »Tun Sie das?« fragte ich beherzt.
    »Um ganz ehrlich zu sein, ich kam nach Tokio mit dem Verlangen nach einer Frau, wie so viele Männer. Manche Japanerinnen laufen Ausländern regelrecht nach.«
    »Wie ist das, mit einer Japanerin zu schlafen?« fragte ich im unpersönlichen Ton.
    »Soll ich offen sein? Man kann mit einer Japanerin jede Stellung ausprobieren.
    Sie kichert, und macht mit. Aber an sie selbst kommt man nicht heran. Der Umweg über das Bett bringt uns nicht näher.«
    Er bot mir eine Zigarette an. Ich schüttelte den Kopf. Während er sein Feuerzeug anknipste, ließ ich meine Blicke umherwandern. Wie merkwürdig! All diese Frauen sprachen und bewegten sich nicht, wie Frauen es sonst tun. Oder bildete ich mir das nur ein?
    »Sie müssen verstehen«, fuhr Michael fort, »in Japan gibt es keine Gleichheit der Geschlechter. Hier dominiert die ärgste Sexual- und Körperfeindlichkeit, die Liebe wird zum Fortpflanzungsakt. Die Frau ist nichts, höchstens die Mutter zählt.«
    »Tatsächlich? Charles sagt, seine Frau ist sehr selbständig.«
    »Sie hat in Frankreich gelebt und ist für die hiesigen Begriffe emanzipiert. Aber der Schein trügt. Denn auch die jungen Frauen aus Paris, die so selbstbewußt aussehen, bleiben im Korsett der Konventionen eingeschnürt. Die Japaner sind unglaubliche Machos. Wissen Sie, daß ein Japaner, wenn er seine Frau vorstellt, 90
    den Begriff ›Innere des Hauses‹ verwendet? Ich kenne auf der ganzen Welt keine Bezeichnung, die beleidigender und geschmackloser wäre.«
    Seine Stimme klang völlig erregungslos, eine artikulierte Stimme, die man besser in gedruckten Worten hätte wiedergeben können. Das Dunkle in mir stieg höher, langsam und stetig wie ein Wasserpegel. Ich wußte nicht, was nun kommen würde. Ich versuchte mir einzureden, daß ich nicht wehrlos war, aber ich wurde die Angst nicht los, auch wenn es eine andere Angst war als früher. Sie brach mit dem kalten Schweiß auf meiner Haut aus, sobald ich Michaels Augen begegnete. Er wartete darauf, daß ich etwas sagte. Ich blieb stumm, und er sprach weiter.
    »Hierzulande geben die Frauen den Männern Feuer, bücken sich, wenn sie etwas fallen lassen und helfen ihnen in den Mantel. Ein europäischer Mann würde nicht einmal ein Animiermädchen dieser Blamage aussetzen. Um sich als Frau freiwillig an einen japanischen Mann zu binden, dazu gehört entweder eine große Portion Dummheit oder eine Lust an der Unterwerfung. Aber die Japanerin fügt sich lächelnd in ihr Schicksal. Sie ist es ja nicht anders gewohnt.«
    Für Michael war das starke, lebenspulsierende Japan eine fremde, unfaßbare Welt. Hier gab es etwas, das sich mit Vernunft nicht erklären ließ. Er kannte ein paar Tatsachen und wußte nicht, was sich dahinter verbarg, außer ganz bestimmten Dingen, die er womöglich falsch deutete. Seine

Weitere Kostenlose Bücher