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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nickte. Er nahm den Arm von meinen Schultern. Ich holte gepreßt Atem, bewegte meine Halsmuskeln, um sie zu lockern. Die gläserne Schiebetür glitt vor uns auf. Draußen war es plötzlich kühl geworden. Eine feuchte Luftschicht legte sich auf meine Haut. Einige Regentropfen fielen. Fröstelnd zog ich meinen Blazer an. Michael half mir, die Ärmel über die Schultern zu streifen.
    »Ja, abends wird es schnell kalt. Japan liegt auf der Höhe von Mittelitalien und Nordafrika. Die Sonne steht mittags schon steil, und die Dämmerung ist viel kürzer als bei uns.«
    Schon einige Straßen nach dem Hotel begann ein ganz anderes Viertel.
    Ringsherum flimmerten Pornokinos und Sexshops im bunten Neonlicht.
    Musikfetzen wirbelten über die Straße, hektische Stimmen boten Sex- und Peep-Shows an. Der Lärm schmerzte mir in den Schläfen, die Lichter zuckten und tanzten vor meinen Augen. Plötzlich nahm Michael meinen Arm.
    »Hier, hier herein.«
    Er führte mich eine Treppe hinunter. Rote und blaue Lampen blinkten. Ich sah mich in einer Spiegelwand; mir war, als strahle mein rotes Haar einen seltsamen Schimmer aus. Michaels schwerer Atem streifte meinen Nacken. Ich spürte, wie meine Poren sich fröstelnd zusammenzogen. Schatten an der Wand. Schatten im Spiegel. Ich muß diesen Schatten zerschlagen. Mein Wille hat eine bestimmte Kraft. Ich weiß nicht, ob es die richtige Art ist, den Teufel zu bekämpfen, aber es ist die beste, die ich finden kann.
    Die Treppe führte in ein Gewölbe. Hinter der Tür ertönte Musik. Das Lokal war in dunkles Licht getaucht. Es war noch nicht viel los. Um eine kleine Tanzbühne standen Tische und Sessel aus rotem Plüsch und warteten auf Gäste. Auf einem Podium spielte eine Band: fünf gertenschlanke Frauen in weinrotem Smoking. Wir setzten uns. Die Mama-san kam mit einem Tablett, stellte zwei Gläser Eiswasser und die kleinen, in Zellophan gewickelten heißen Frotteetücher auf den Tisch. Sie trug ein paillettenbesticktes Cocktailkleid und Pumps mit schwindelerregenden Absätzen. Sie hatte einen Wasserfall von schwarzen Haaren, ein perfekt modelliertes, mattgepudertes Gesicht. Ein Blick ihrer mandelförmigen Augen streifte mich. Sie lächelte mir, den Kopf graziös neigend, wohlwollend zu.
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    »Was trinken Sie?« fragte Michael.
    »Ich glaube, ich nehme einen Gin. Mit viel Wasser.«
    »Und ich einen Brandy«, sagte Michael.
    Er gab die Bestellung auf. Die Mama-san gab sich sichtlich Mühe, sein holpriges Englisch zu verstehen. Doch der Funke war in ihren Augen erloschen.
    Das schöne Gesicht erstarrte, ihr Blick wurde pechschwarz und fern. Die Distanziertheit der Japaner, die Michael wahrnahm und verunglimpfte, war kein Trugbild. Sie galt jedoch einzig und allein ihm.
    Die Mama-san verneigte sich und ging. Michael nahm die Brille ab, klemmte den Bügel in seinen Kragen. Seine blaßblauen Augen trafen die meinen; ihr Anblick war für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Das kleine Mädchen in mir erstarrte. Das Klopfen verlagerte sich tiefer hinunter, in den Bauch. Ich fühlte einen kurzen, stechenden Schmerz zwischen den Beinen. Nicht nur in der Körpergröße und Augenfarbe erinnerte er mich an meinen Vater, das hätte ich ertragen können. Ob ich wollte oder nicht, ich sah tiefer. Es kam mir vor, als sei nur die Außenseite seines Ichs, die oberste Schicht, menschlich. Darunter war etwas anderes. Etwas, das ich auch bei meinem Vater gefühlt hatte.
    Schrei nicht.
    Die Mama-san schenkte die Getränke ein, fügte Wasser und Eiswürfel hinzu.
    Jede ihrer Gesten war von unbeirrbarer Sicherheit und vollendeter Anmut. Mich jedoch sah sie nicht mehr an, als ob sie befürchtete, sich durch irgendeine Regung eine Blöße zu geben.
    »Wie finden Sie die Mama-san?« fragte Michael in spöttischem Ton, als sie uns mit einer Verbeugung verließ.
    »Sie ist sehr schön«, sagte ich.
    Michaels Mundwinkel zuckten. Er sah aus wie jemand, der über einen guten Witz lacht.
    »Gewiß. Hier trifft man nur schöne Frauen.«
    Mir fiel auf, daß er recht hatte. Das Lokal füllte sich allmählich, und der Großteil der Gäste bestand aus Frauen. Ihre Gesichterwaren gepudert, ihre Augen wundervoll geschminkt, ihr lackschwarzes Haar funkelte bläulich. Einige trugen Smoking, andere Abendkleider. Manche saßen an der Bar; schlugen die Beine übereinander und zeigten ihre glatte, samtig bestrumpfte Haut. Einige sahen wie Südeuropäerinnen aus, andere zeigten ausgesprochene asiatische Züge. Männer waren kaum zu sehen.

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