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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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solchen Mann die Flucht ergriffen.
    Aber nachts hätte ich von ihm geträumt, wäre wach geworden, in Schweiß gebadet.
    Nein, es war nicht falsch, was ich vorhatte, es war notwendig. Mein Vater trug die 92
    Schuld, daß ich so geworden war. Und mein Vater, der sich hinter Michaels Augen verborgen hatte, trat jetzt aus seinem Versteck hervor und lebte in diesen Augen.
    Et au matin, le loup l’a mangée.
    Nein. Nicht noch einmal.
    »Warum haben Sie mich hierher gebracht?« fragte ich.
    »Ich wollte mal Ihre Reaktion sehen. Ich hatte nicht unbedingt den Eindruck, daß Sie prüde sind. Warum antworten Sie nicht?«
    »Weil ich mir nicht gerne dumm vorkomme.«
    Er hob ironisch die Brauen.
    »Bringe ich Sie dazu, sich so zu fühlen?«
    »Ich glaube, manchmal möchten sie es schon«, versetzte ich.
    Sein spöttischer Ausdruck verschwand. Er starrte mich an, das eiskalte Leuchten in den Augen.
    »Wissen Sie, daß Sie einer Japanerin gleichen? Sie haben dasselbe Lächeln.
    Reizend, aber undurchsichtig. Man glaubt, es sei Scheu und Anständigkeit. In Wirklichkeit ist es das nicht, überhaupt nicht. Und Sie sind auch keine Emanze, das ist das Angenehme an Ihnen.«
    Sag nichts. Keine Antwort ist besser als die falsche. »Merkwürdig ist das«, fuhr er fort, »ich habe öfters Frauen getroffen, die sehr erotisch waren. Aber Sie machen einen Mann verrückt, einfach, weil Sie da sind. Wenn ich Sie ansehe, denke ich ganz etwas anderes als an eine Frau, aber ich bin noch nicht betrunken genug, um es Ihnen zu sagen. Und jetzt wüßte ich gern, ob Sie mich mögen.«
    Das kleine Mädchen in mir war gestorben. Ich verbarg diesen Leichnam in mir selbst, in den Narben meines verwundeten Körpers. Ein Mann wie Michael hatte das Kind in einer Mondnacht ermordet. Seitdem war ich in zwei Stücke geteilt, mir selbst eine Fremde. Ich mußte ihn jetzt in die Falle locken. Auch wenn ich vor Angst fast umkam. Was ich dann mit ihm machen würde, wußte ich noch nicht genau.
    Ich fühlte mit steinerner Ungerührtheit, wie Michael mir den Arm um die Schultern legte. Als er mir seine Zunge in den Mund steckte, da konnte ich nicht mehr und stieß ihn heftig von mir.
    »Lassen Sie mich los. Ich kann nicht – atmen! «
    Er ließ ein irritiertes Lachen hören.
    »Zum Donnerwetter, Julie, Sie regen einen schön auf! Und meine Frage haben Sie nicht beantwortet.«
    Ich keuchte und erschauerte, das Herz schlug schneller, und in meinem Unterleib pochte es. Mein Körper wollte sich zurückziehen, sich verkriechen, sich schützen. Aber ich würde mich schon stärker fühlen, bald schon.
    »Ich habe nicht darüber nachgedacht«, antwortete ich.
    Er lächelte dünn.
    »Ich glaube, daß Sie mich zum Narren halten.«
    93
    Müdigkeit überkam mich. Ich hatte das Bedürfnis, hinabzutauchen wie ein blanker, feuchter Stein im nächtlichen Gewässer. Doch ich wehrte mich gegen diese Schlappheit; es war ganz ungeheuer wichtig, daß ich jetzt wach blieb.
    »Du bist mit den Gedanken wieder weit weg«, sagte Michael. »Bei einem deiner früheren Liebhaber, nehme ich an?«
    Er duzte mich plötzlich, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich spürte, wie er sein Knie zwischen meine Beine schob.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Du hast offenbar nicht vor«, bemerkte er höhnisch, »mir von allen Männern zu erzählen, mit denen du im Bett warst?«
    »Warum sollte ich darüber reden?«
    Seine Lippen wanderten über meine Wange, saugten an meinem Ohrläppchen.
    Ich drehte das Gesicht von ihm weg. Er spürte, wie zart und weich ich war; diese glatten, in sich ruhenden Bewegungen, diese ganz besondere Biegsamkeit, die wirkte, als sei ich vollkommen im Einklang mit mir selbst, dem Willen des Stärkeren unterworfen. Und ich wußte, daß diese Geschmeidigkeit, diese Sanftheit, in Männern wie Michael den brennenden Wunsch weckte, mich zu besitzen. Daß ich der Inbegriff dessen war, das sie ersticken, vernichten, zerstören wollten. Und so wunderte ich mich nicht, als er mich enger an sich zog, ganz leise an mein Ohr sprach:
    »Ich kenne einen anderen, besseren Ort. Sag, hast du Lust?«
    Ich schwieg. Seine Augen forschten in meinem Gesicht. In meiner Brust stieg Hitze auf. Das kleine Mädchen trat wartend aus der Dunkelheit. Ich kehrte an die Orte meiner Kindheit zurück. Zu den Platanen und den Gänseblümchen. Zu den singenden Säulen, den bunten Kirchenfenstern. Zu den Spuren des Paradieses. Zu dem Licht in der Nacht, zu der Füchsin und dem Baum.
    »Du hast Angst?«
    Jemand sagte es in mein

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