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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Borniertheit veranlaßte ihn zu einer ganz ungerechtfertigten Überheblichkeit. Er nahm feine Andeutungen nicht wahr und vergaß, daß Menschen vielschichtige Wesen sind, daß Worte und Handlungen sich manchmal nicht decken und daß Selbstbehauptung blind macht.
    Ich nahm einen Schluck, stellte das Glas behutsam hin und hielt es fest – zur Vorsicht. Ich mußte allmählich aufpassen.
    »Gesellschaftliche Konventionen bestehen oft aus Heuchelei«, sagte ich leise.
    »Der europäische Mann läßt der Frau den Vortritt. Aber beide wissen genau, wer zu Hause kocht, wäscht und das WC putzt.«
    Er konnte auch lächeln; nicht ein halbes Lächeln, sondern auf eine einnehmende, freundliche Art, so daß die hellen Augen strahlten. Auf manche Frauen mußte er eine starke Wirkung ausüben. Ich jedoch sah den Schatten hinter der Maske und fröstelte.
    »Bei Ihnen weiß man nie, was als nächstes kommt. Offenbar sind Sie sehr intuitiv. Aber manchmal haben Sie eine lange Leitung.«
    Ein Scheinwerfer flammte auf; ein Sängerin trat aus den Kulissen. Ihr rotes Kleid schmiegte sich eng an den grazilen Körper. Die Haut ihrer Schenkel schimmerte blaß durch die langen Schlitze an der Seite. Ihr Haar war ungewöhnlich kurz geschnitten für eine Frau, und um den Hals trug sie einen Schal aus roten Schwanendaunen. Ihr Gesicht war ausgeprägt wie das einer Zigeunerin.
    Die Band stimmte »L’Ame des Poètes« an, ein französisches Lied aus den fünfziger Jahren. Die Frau sang in französischer Sprache, doch ihr japanischer Akzent, ihre Art, die Satzteile zu zergliedern, gaben Charles Trenets Worten einen 91
    fremden, sehnsuchtsvollen Klang. Nicht nur ihre rauhe Stimme, sondern auch ihre Hände faszinierten mich. Sie waren ausdrucksvoller als die jeder Europäerin, zart und biegsam wie Magnolienblüten. Auf einmal warf sie ihren Daunenschal über die Schultern. Da sah ich ihren Hals und wußte Bescheid. Mein fassungsloser Blick zuckte zu Michael hinüber.
    »Aber das ist ja ein Mann! «
    Er lehnte sich zurück, lachend.
    »Herrgott! Der Groschen ist gefallen! Es wurde auch langsam Zeit.«
    »Wollen Sie damit sagen«, fragte ich ungläubig, »daß all diese Frauen Männer sind?«
    Ich war betroffen. Nicht etwa der Transvestiten wegen; was mich faszinierte, war die Vollkommenheit der Illusion. Diese Männer waren bildschön. Ihre Erotik war auf eigentümliche Art stilisiert. Viele Transvestiten sind Karikaturen; diese überschlanken, schillernden Wesen waren es nicht. Ihre Erscheinung setzte die Würde der Frau in keiner Weise herab. Es war die eigentliche Aura, der innerste Kern der Weiblichkeit, die sie zum Ausdruck brachten. Ich mußte dabei an die japanische Lebensform denken, so wie Michael sie sah und wie ich sie empfand.
    Auch wir sahen die Dinge wie in einem Spiegel: Der Spiegel selbst war leer, er reflektierte nur die Bilder. Michael sah die gleichen Bilder wie ich, ohne sie zu erfassen. Und da er spürte, daß er Japans Wesensart niemals verstehen würde, wütete er gegen einen abstrakten Gegner. Doch mein Instinkt sagte mir mehr: Er haßte mich – das andere Geschlecht – genauso, wie er Japan haßte. Auch ich erschien ihm unverständlich, geheimnisvoll, erschreckend. Er haßte mich, nur weil ich eine Frau war, wie manche Männer das tun, weil sie hinter der scheinbaren Passivität etwas anderes spüren – etwas Unfaßbares. Er starrte mich an mit diesen eiskalten, schrecklichen Augen, machte mit seinem Blick eine unheimliche Herrschaft über mich geltend, deren Sinn ich verstand: Es war die sexuelle Gewalt, mit der Männer seit Menschengedenken Frauen und Mädchen einschüchtern und bedrohen. Was wollen solche Männer? Nichts als zerstören. Die Frauen mit freundlichen Worten betören. Ihnen in den Mantel helfen, die Wagentür öffnen, ja.
    Aber dann sich über sie lustig machen, sie verraten und zerstören. Solange ihre Männlichkeit siegt, kümmert es sie nicht, was die Frauen fühlen, ihnen ist es egal, ob sie weinen oder Schmerzen haben. Das alles las ich in Michaels Augen. Alles, was ich in einem Mann fürchtete und verabscheute, sah ich in diesem einen Mann kristallisiert. Seit ich erfahren hatte, wie unbarmherzig solche Augen aus einem fernen Dunkel auf mich herabsahen, konnte ich nicht mehr leben, ohne zu weinen.
    Die Annäherung eines solchen Mannes zerriß die zarten Schleier der Gefühle, richtete sich gegen alles, was zärtlich und mitfühlend war, brachte Schmerzen, Wahnsinn und Tod. Früher hätte ich vor einem

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