Silbermuschel
Vorschlag ein.
»Aber sicher, aber selbstverständlich. Mit der Pressekarte kommt man überall durch.«
»Wollen wir mal hinter die Kulissen gehen?«
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Franca nahm ihre Handtasche, doch ich sagte: »Ich bin jetzt nicht in Stimmung, Leute zu sehen.«
War ich nicht der Göttin begegnet? Das Gesicht hinter der Maske wollte ich nicht kennenlernen!
Wir zwängten uns zwischen den Sitzreihen zum Ausgang. Charles zeigte dem Platzanweiser seine Pressekarte und sprach einige Worte in seinem stockenden Japanisch. Der Platzanweiser verneigte sich.
»Alles klar!« sagte Charles. »Er führt uns hinter die Kulissen.«
»Willst du wirklich nicht mitkommen?« fragte mich Franca. »Du bist doch sonst für alles Japanische zu haben. Wie kommst du denn ins Hotel zurück?«
»Mit der U-Bahn.«
Charles legte die Stirn in bedenkliche Falten.
»Das ist aber ungemein kompliziert. Wie willst du dich denn zurechtfinden?«
»Ich werde schon nicht verlorengehen«, erwiderte ich gereizt.
Inzwischen stieß der Platzanweiser eine Tür neben der Kasse auf, bat die beiden mit einer Geste, ihm zu folgen. Sie gingen. Ich blieb allein in der Halle zurück.
Mit der U-Bahn zu fahren erwies sich problemloser, als ich dachte. Die Japaner kauften eine Fahrkarte oder zeigten ihre Dauerkarten vor und passierten die elektronischen Schranken. Ich bat eine Frau um Hilfe, indem ich ihr den Namen meiner Station nannte. Die pausbackige kleine Frau zeigte mir bereitwillig, wie ich die Fahrkarte am Automaten zu lösen hatte. Sie machte mich auf die Linien auf dem Bahnsteig aufmerksam, die zeigten, wo man warten mußte. Elektronische Signale blinkten, sobald eine Bahn von der vorherigen Station abgefahren war.
Uniformierte mit weißen Handschuhen kündigten den Zug an. Die Leute standen dicht nebeneinander, wischten sich mit weißen Taschentüchern die Stirn und lasen: Zeitungen, Romane und Porno-Comics in grellbunten Taschenbuchausgaben. Die Bahn donnerte den Bahnsteig entlang. Zischend öffneten sich die Türen. Eine Menschenwoge stieg aus, fast genau so viele stiegen ein. Es gab ein Geschubse und Gedränge. Ich klammerte mich am Halteriemen fest. Ein eigentümliches Gefühl befiel mich. Hier standen Hunderte aneinandergepreßt, stießen und drückten sich, lasen und schwitzten, doch kaum einer tauschte ein Wort. Alle Augen sahen aneinander vorbei. Ich empfand nicht das geringste Unbehagen. Die Angst, die eine Frau in Europa stets begleitet – Angst vor der Anmache, vor dem Anstarren, vor dem Fummeln –, diese Angst kam hier nicht auf. Ich fühlte mich in der Menge geborgen.
Im Hotelzimmer saß ich auf meinem Bett, hatte die Schuhe ausgezogen und rieb meine heißen Füße aneinander. Das Telefon klingelte. Ich fuhr zusammen und kämpfte eine Weile mit mir selbst, bevor ich den Arm ausstreckte und den Hörer abnahm.
»Guten Abend, Julie«, sagte Michael.
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Seine Stimme, ganz nahe an meinem Ohr, hatte etwas Intimes an sich. Meine Wangen wurden heiß, und gleichzeitig bekam ich eine Gänsehaut.
»Sie sind da, Julie«, sagte Michael, als ich stumm blieb. »Ich weiß doch, daß Sie da sind.«
»Ja«, flüsterte ich.
Fürchte dich nicht, hatte die Göttin gesagt. Er ist nur ein Schatten. Ein Schatten aus ferner Vergangenheit…
»Ich hatte versprochen, Sie auszuführen. Haben Sie Zeit?«
»Ich hatte eigentlich nicht mehr vor, auszugehen.«
Er lachte jungenhaft.
»Ich bin aber schon unten in der Halle!«
Das kleine Mädchen, das tief in meinem Inneren schlief, in einer Zelle, die so kalt war wie ein Sarg, rührte sich und seufzte. Dann muß ich es also tun, dachte ich in schmerzlicher Not. Besser vielleicht, ich warte nicht mehr länger.
»Gut«, sagte ich. »In zehn Minuten.«
Ich ging ins Badezimmer, wusch mir mit kaltem Wasser Gesicht und Hände und kämmte mich. Dann zog ich eine frische Bluse an, stopfte Geld, Taschentuch und Ausweis in die Tasche meiner Jeans, warf einen Blazer über den Arm. Meine Schuhe kamen mir zwei Nummern zu klein vor. Auf wehen Füßen verließ ich das Zimmer und schleppte mich durch den Gang.
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7. KAPITEL
A ls ich aus dem Lift trat, erhob sich Michael aus dem Ledersofa, in dem er gesessen hatte. Er legte mir den Arm um die Schultern, eine vertrauliche, besitzergreifende Geste. Ich versteifte mich.
»Möchten Sie etwas essen?«
»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.«
»Ich eigentlich auch nicht. Aber ich kenne ein nettes Lokal, ganz in der Nähe.
Höchst amüsant. Wollen wir dort etwas trinken?«
Ich
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