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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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O-Daiko mit einem nebligen Hof. Ich blickte zur Trommel empor, merkte erst jetzt, wie gewaltig sie war. Ich sah in ihr kein Instrument, von Menschenhand geformt, sondern ein kesselförmiges Ungeheuer, eine gigantische Walze. Das honigfarbene Trommelfell wirkte prall und gesättigt. Die Windschraube vibrierte wie ein Magnetfeld und schien ein dumpfes, wütendes Brummen von sich zu geben. Der schwere Wagen, gestoßen und gezogen, rumpelte über die Bühnenbretter. Ein Junge in Jeans, mit einer offenen Lederjacke über dem nackten Oberkörper, gab Anweisungen, damit die Trommel nicht gegen Bühnenrahmen und Scheinwerfer stieß. Das Rumpeln und Poltern kam näher. Der Schatten der O-Daiko dehnte sich aus, wuchs bis an den Bühnenhimmel. Ich drückte mich an die Wand, als der Wagen dicht an mir vorbeirollte. Bei den vielen Leuten, die alle etwas zu tun hatten, kam ich mir überflüssig vor. Plötzlich fühlte ich einen Blick, wie eine Berührung. Ich wandte den Kopf und sah Ken auf der anderen Bühnenseite stehen. Mein Herzschlag setzte aus, ich spürte meine Knie weich werden, während er langsam auf mich zukam. Sein Schatten glitt neben ihm über die dunklen Bretter, berührte mich, bedeckte mich. Er trat so dicht an mich heran, daß ich ihn atmen hörte. Seine erhitzte Haut roch nach Salz und süßem Reiswein.
    Er trug einen grauen Trainingsanzug und weiße Socken. Ein feuchtes Handtuch hing um seinen Hals, und das offene Haar fiel darüber, in ungestümer Fülle, bis auf die Brust. Er deutete auf die Trommel, die karminrot im Helldunkel schimmerte.
    »Sie nimmt viel Platz in Anspruch. Wir haben stets Probleme, sie auf eine 128
    Bühne zu bringen. Am schlimmsten wird es, wenn wir sie ins Ausland verfrachten.
    Bis alle Einfuhr- und Zollabfertigungsfragen erledigt sind und die Sendung endlich spediert werden kann, habe ich einige graue Haare mehr.«
    Er sprach leichthin, während er sich neben mir mit den Ellbogen gegen die Wand stützte. Ich hörte kaum zu. Meine Gedanken sprudelten durcheinander wie die Tropfen eines Sprühregens. Ich spürte einen Schmerz im Bauch, einen Schmerz, den ich vorher nie gefühlt hatte.
    »Wo sind denn die Radioleute?« wollte er wissen.
    »Gegangen«, sagte ich. Meine eigene Stimme kam mir fremd und rauh vor.
    Er hob amüsiert die Brauen’.
    »Habe ich sie verjagt? Im Umgang mit den Medien bin ich manchmal schizophren. Ich muß zugeben, die Sache mit der Uhr war etwas dick aufgetragen.
    Aber ich wollte nicht, daß du mir davonläufst.«
    »Das hatte ich nicht vor.«
    Er lächelte plötzlich. Sein Lächeln war das bezauberndste, das ich je gesehen hatte. Man merkte Ken die Anstrengung des Spiels kaum an. Nur an seinen Schläfen hatten sich winzige Schweißperlen gebildet, und das Haar klebte an der feuchten Stirn.
    »Entschuldige. Ich habe mich idiotisch benommen.«
    »Ich könnte von mir das gleiche sagen.«
    Unsere Blicke trafen sich. Ich löste die Uhr und hielt sie ihm hin.
    »Sie geht nicht mehr.«
    »Ja, ich weiß.«
    Er streckte mir den linken Arm hin und schob den Ärmel hoch.
    »Legst du mir das Armband um?«
    Ich tat, was er wünschte. Meine Finger zitterten.
    »Sag mir, wenn ich zu fest ziehe.«
    »Keine Sorge. Sie hat eine Markierung.«
    »Ich sehe schon«, flüsterte ich.
    »Danke, Julie-san.«
    Ich stand ganz still an die Wand gelehnt und sah zu ihm empor. Er rückte ein bißchen näher. Sein Arm berührte meinen Hals. Ich zuckte zusammen, starrte in sein Gesicht, in seine Augen. Plötzlich blinkte ein Scheinwerfer auf. Das grelle Licht ließ mich blinzeln, und er sagte: »Du blutest ja!«
    Statt zu schauen, wohin er zeigte, hielt ich immer noch das Kinn hoch. Ich glühte und fror und war am Ersticken. Das, was ich für ihn empfand, hatte ich bisher für keinen Mann empfunden: ein fast schmerzliches Verlangen, eine Art Besessenheit. Ich wußte nicht einmal, daß ich dazu fähig war. Es ist nicht nur das, dachte ich, es ist auch etwas anderes. Aber was nur?
    »Ich habe mich geschnitten«, flüsterte ich. »Es ist weiter nichts.«
    »Tut es weh?« fragte er, mit einem Schimmer von Besorgnis in der Stimme.
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    »Jetzt nicht mehr.«
    Das Licht schien mir hart in die Augen. Er trat noch näher auf mich zu, stützte die Hände zu beiden Seiten meiner Schultern an die Wand. Ich stand mit zurückgelehntem Kopf und fühlte die Wärme seines Körpers. Sein Gesicht lag im Schatten; ich sah nur den leuchtenden Spalt seiner Augen.
    »Inari«, flüsterte er.
    Ich spürte, wie ich

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