Silbermuschel
Klarheit; er trat aus dem Nebel mit langsamen Schritten. Sein geschmeidiger Oberkörper wiegte sich im Takt der Musik. Er lockte drei Göttinnen aus den tiefen Bergwäldern, aus den Schatten der mondbeschienenen Blütenbäume, aus dem windverwehten Rauch der Vulkane.
Und die Gottheiten lösten sich aus dem Dunst“, schwebten heran in ihrer Reinheit und Schönheit. Ihr Antlitz war weiß wie der Mond, ihr Haar schwarz wie Rabenfedern, von karminroten Schleiern umweht. Sie waren die Schöpferinnen des Ursprungs, die weibliche Kraft am Ausgang aller Wunder. Sie drehten sich lautlos eine lange Schattenlinie hinunter, bis die Flöte sie in ihre Heimat zurückrief. Da glitten sie vorbei, lösten sich auf, entschwanden in einer Luftspiegelung. Nun schwieg die Flöte, und Hammer dröhnten. In unterirdischen Werkstätten arbeiteten die Schmiede, riefen die Kraft der Gestirne herab, schmolzen sie in das Eisen. Die Trommeln pulsierten hart und wild; ihre mächtigen Schläge donnerten, und unter ihren Stößen zerbarsten Funkengarben. Jeder Trommler schien seine Bewegungen einem Trancezustand zu überlassen, der sie aus allen Fugen und Gelenken riß.
Und dennoch war in diesem zügellosen Dröhnen, scheinbar ohne jeden Takt und Zusammenhang, eine undefinierbare Einheit, eine total beherrschte Harmonie zu spüren. Ich sah nicht auf die vor Anstrengung verzerrten Züge der Trommler, ich sah nur die Vision, die sie mir schenkten. Unter achtfach gehäuften Wolkenfeldern drehte sich die Erde, ein lebender Planet, ein Riesenorganismus, aus Feuer und Wasser geboren. Er schwebte heran aus den fernen Gefilden, in denen das Universum den Atem anhält, rotglühend im Schein der Kienfackeln.
Sein gewaltiger Schatten löschte die Sterne, verdichtete die Finsternis, und was zuerst die undeutliche Vision der Erdkugel gewesen war, nahm die scharfen Umrisse der Wirklichkeit an.
Der Feuernebel wich – und was blieb, war eine Riesentrommel. Sie war auf einem Holzwagen aufgestellt; sieben junge Leute, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, schoben ihn schwerfällig aus dem Hintergrund der Bühne ins Rampenlicht. Ihr Umfang entsprach den ausgebreiteten Armen eines Mannes. Das 123
Faß schillerte karminrot. Gußeiserne Nägel strafften das Fell, auf dem sich eine schwarze Windschraube, das Symbol der Urkraft, zum kreisenden Schwung krümmte. Ich starrte die Trommel an; mir war, als ob die Trommel zurückstarrte.
Ihr angeschwollener Leib schien unter der angestauten Kraft schier zu bersten.
Plötzlich sprang einer der jungen Leute leichtfüßig auf den Wagen, kauerte sich vor der hinteren Trommelfläche nieder. Dann schnellte mit panthergleichem Schwung ein zweiter Trommler empor, stellte sich im Rampenlicht vor die Trommelfläche, auch er fast vollkommen nackt. Sein Haar, von einem weißen Stirnband gehalten, flutete dunkel über die breiten Schultern. Ich erkannte ihn sofort. Das Blut stieg mir in die Wangen. Mein Atem ging schnell und leise, mein Herz schlug an die Rippen, daß es schmerzte.
Nachlässig, fast herausfordernd, drehte Ken den Zuschauern den Rücken zu. Er stand vor der Trommel wie vor einem Gegner, dem er abschätzend in die Augen sah. Und gleichwohl war in seiner Haltung die Ehrfurcht zu spüren, die einem heiligen Gegenstand gebührt. Sein Schatten fiel auf das Trommelfell, während er langsam mit ausgebreiteten Armen zwei keulengleiche Schlegel aus Weißholz aufhob. Er huldigte der Trommel – er tat es nach uralter Art: mit ungebeugtem Kopf und ungebeugten Knien –, unerschrocken der Gottheit ins Gesicht schauend.
Einige Atemzüge lang verharrte er regungslos. Dann schlug er hart und blitzschnell beide Schlegel aneinander. Ich spürte, wie er die Trommel mit diesen Tönen provozierte, zum Kampf anfeuerte. Jetzt berührte er mit einem Schlegel das Trommelfell, schlug den ersten Ton. Er verursachte ein dumpfes Brummen. »Hör zu!« Wie ein Echo schlug der zweite Trommler im Hintergrund die Fläche. »Ich höre!« schien die Trommel zu antworten.
Noch rührte Ken sich nicht: Sein Körper schimmerte golden. Die langen, schlanken Muskeln spannten sich unter der Haut, während die Kraft der Trommel erwachte, ihm langsam entgegenwuchs. Ich fühlte, wie er mit tiefen, gelockerten Atemzügen diese Kraft anzog und speicherte. Und erst in dem Augenblick, als beide Kräfte im Gleichgewicht waren, da erst bewegte sich Ken. Sehr langsam ging er in die Knie, hob wie im Traum den rechten Arm so weit nach hinten über die Schulter, daß
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