Silbermuschel
zurück, erfüllte mich mit prickelnder Erregung. Franca und Charles hatten sich dem Beifallklatschen angeschlossen. Jetzt standen beide auf; ihre Sessel klappten zurück.
»Tja«, sagte Franca. Mehr schien ihr nicht einzufallen. Ich hörte, wie Charles verlegen hüstelte.
»Ziemlich fesselnd, gebe ich zu. Miura scheint eine Nase dafür zu haben, was man in Europa unter japanischer Erotik versteht. Hier ist das keine Sensation.«
Er sah Franca mißmutig an und tat sehr blasiert.
»Wie steht es mit Miura? Willst du noch mit ihm reden?« Daß es ihm nicht paßte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Franca nahm ihre Handtasche und das Tonband.
»Nein, ich habe genug Informationen. Und Julie kann es kaum abwarten, ihm die Uhr zurückzugeben. Zeig mal her. Echt Gold, scheint mir. Und dazu noch eine Damenuhr. Sie steht übrigens. Was soll das heißen? Daß er schon in fester Hand ist?«
»Oder daß er schwul ist«, gluckste Charles.
»Der?« Franca lachte kurz auf. »Das kannst du dir ja einreden, wenn es deine Phantasie beflügelt.«
»Sehr witzig! Was nun? Verlassen wir das torpedierte Schiff?«
Franca sah ihn abschätzig an.
»Man kann sich auch bequem ans Ufer rudern lassen.«
»Tu bloß nicht so«, sagte Charles. »Ich schmücke mich nicht mit goldenen Damenuhren und besaufe mich auch nicht nackt auf einer Bühne. Und etwas Training habe ich auch.«
»Ich fürchte, nicht genug«, lachte Franca.
Ich kannte sie gut: Sie hatte nicht vor, sich aufzuregen. Sie war in diesen Dingen ein Verstandesmensch, mit einer kühlen Geschicklichkeit, Gefühlsverwirrungen aus dem Weg zu gehen. Sex war für sie eine Sache der Hygiene. Eine Bekanntschaft hier, eine Beziehung dort. Präservative hatte sie immer dabei. Für alle Fälle. Aber diesmal hatte sie Pech gehabt.
Ich schickte mich an, zu gehen, als Francas Blick den Ausdruck wechselte, sie sah fast fürsorglich aus. Solange ich sie kannte, hatte sie das Gefühl, daß sie auf mich aufpassen mußte.
»Schachmatt für Michael!« seufzte sie. »Und mit Bravour und ganz lässig nebenbei. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, nimm es undramatisch als 126
Exotik-Trip, oder der Mann macht dich fertig. «
Ich dachte, sie hätte mir nichts mehr zu sagen, als ihre Augen sich auf meinen Hals richteten.
»Du blutest ja schon wieder!«
Ich berührte verstört den kleinen Schnitt. Ich mußte die Kruste aufgekratzt haben, ohne daß ich es bemerkte.
»Und natürlich hast du kein Taschentuch.«
Franca reichte mir ihres. Es wurde Zeit, daß wir gingen. Charles tätschelte besitzergreifend Francas Arm. Er war froh, daß er es hinter sich hatte. Zu mir sagte er:
»Bis morgen, mein Schatz! Angenehme Eindrücke mit Monsieur Butterfly! Ich nehme nur an, er ist jetzt etwas müde.«
Ich mußte ihn auf eine Art angesehen haben, die er als abwesend oder einfältig taxieren mochte – womöglich als beides zugleich –, denn er lachte anzüglich auf.
Er zwängte sich mit Franca durch die Sitzreihen zum Ausgang, und ich ging hinter die Kulissen.
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10. KAPITEL
D urch die düsteren Gänge mit ihrer abblätternden Farbschicht stieg ich im trüben Neonlicht einige Stufen empor, stieß die Metalltür zu den Kulissen auf.
Hinter der Bühne herrschte das übliche Gedränge nach einer Vorstellung. Die Musiker packten ihre Instrumente ein. Sie hatten sich bereits umgezogen, trugen Jeans und Sweatshirts und die üblichen Pantoffeln. Ein Mädchen stand neben dem Beleuchtungskörper, ihren roten Seidenkimono wie ein schlaffes Bündel unter den Arm gerollt, und rauchte eine Zigarette. Ihr abgeschminktes Gesicht sah weich und glatt aus. Das Mädchen mit den dicken Waden saß im Schneidersitz auf dem Boden und aß Weißbrotschnitten mit Schinken aus einer kleinen Pappschachtel.
Ein drittes Mädchen öffnete mit leisem Knall eine Coladose und trank. Sie trug Shorts und ein hüftlanges Leibchen darüber. Ihr nasses Strubbelhaar glänzte. Ich lächelte vor mich hin; die Göttinnen waren wieder zu Menschenkindern geworden.
Techniker trugen Scheinwerfer und Stellwände weg, während Bühnenarbeiter Kabel und Stecker abmontierten. Alle waren beschäftigt. Man nickte mir zu und lächelte, doch niemand blieb stehen, um mit mir zu reden. Ein dumpfes Rollen ließ plötzlich den Boden erzittern. Stimmen und Schatten kamen näher. Ich wandte den Kopf. Unter sichtbarer Anstrengung schoben einige Jungen den Wagen mit der Riesentrommel von der Vorbühne hinter die Kulissen. Die Scheinwerfer umgaben die
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